Am Mittwoch werden auch in Mülheim viele Praxen der Orthopäden und Unfallchirurgen geschlossen sein.

Auf dem Weg der Besserung sind sie nicht. Im Gegenteil: Der Unmut der Ärzte über die Honorarreform verschärft sich. Heute, am Mittwoch, werden auch in Mülheim viele Praxen der Orthopäden und Unfallchirurgen geschlossen sein – aus Protest. Reiner Osenar gehört zu den Fachärzten, die heute nicht praktizieren. Unter den jetzigen Bedingungen sieht er, wie viele seiner Kollegen, keine Chance, eine fachärztlich orthopädisch-unfallchirurgische Versorgung zu gewährleisten.

Seelenlose Abfertigung

Quasi für eine „Flatrate” von knapp zehn Euro im Monat müssten sie die Patienten versorgen. Untersuchungen, Beratungen, Verbände, Gipse, Wundversorgungen, kleine operative Eingriffe, Ultraschalluntersuchungen, Schmerzbehandlungen – alles im Preis inbegriffen, zählt Osenar auf. Seine Praxis unter solchen Bedingungen wirtschaftlich zu führen hält er für unmöglich. Die Folgen seien schon jetzt erkennbar, beklagt er. Das System zwinge Ärzte zur „seelenlosen Abfertigung” der Patienten.

Wartezeiten wie in England

Leistungen würden auf „das Mindestmaß des Notwendigen” reduziert. Wartezeiten wie in England prognostiziert er, ebenso verkürzte Sprechzeiten. Zudem werde er Patienten vermehrt zur stationären Behandlung einweisen müssen.

Osenar nennt es unseriös, dass die Versicherten Rekordbeiträge zahlten und gleichzeitig Ärzte durch Honorarverluste bis zu 35 Prozent „ausgehungert” würden. Einer, der die gleiche Dramatik sieht, ist der Radiologe Dr. Dieter Schreiber. Er hat soeben seinen Satz pro Patient für das nächste Quartal erhalten. „Bei 1000 Patienten bedeutet allein die erneute Reduzierung für meine Praxis einen weiteren Verlust von 15 000 Euro.” Er sagt einen gewaltigen Patiententourismus voraus, auch in Richtung Krankenhäuser. „Es werden doch jetzt schon Leute weggeschickt oder erhalten den nächsten Termin erst wieder im nächsten Quartal.”

Qualität gefährdet

Jede Menge Unzufriedenheit erreicht in diesen Tagen die Ärztekammer. Nicht anders sieht es bei der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein aus, wo bisher rund 5000 schriftliche Einsprüche zu den Honoraren eingegangen sind.

Die Qualität der ambulanten ärztlichen Versorgung sieht die Kammer akut gefährdet. „Die völlig unzureichende Honorierung originär ärztlicher Tätigkeiten vernichtet Existenzen.”

Diesen Frust kann der Mülheimer Dr. Dietrich Rohde, Mitglied des Vorstandes der Ärztekammer Nordrhein, gut verstehen. Seit 1996 habe es permanent Einschnitte in die Vergütung gegeben. Erstmals jedoch sei jetzt das Abrechnungsverfahren auch transparent. „Ärzte sehen umgehend, wie es um den Wert ärztlicher Leistung bestellt ist.” Nur noch 15 von 100 Euro Kassenbeitrag kommen in der ambulanten ärztlichen Versorgung an, rechnet Rohde vor, dabei würden über 90 Prozent der Behandlungsfälle dort versorgt. „Die Verteilung der Gelder ist falsch. Versicherungsfremde Leistungen müssten endlich ausgegliedert werden”, nennt Rohde eine uralte Forderung.

Die große Sorge, die Rohde umtreibt, ist, dass vermehrt Ärzte hingehen und Kosten außerhalb der Gebührenordnung erheben, sich Leistungen bezahlen lassen, die eigentlich Kassenleistungen sind. „Dies ist hochgefährlich, rechtswidrig und imageschädigend.”

Versorgung der Patienten sicherstellen

Ganz andere Befürchtungen treiben den Mediziner Uwe Brock um: „Es geht nicht um einen Euro mehr oder weniger. Es geht vor allem darum, wie kann künftig die Versorgung der Patienten sichergestellt werden, wie lässt sich der erforderliche Nachwuchs gewinnen?” Die Kammer stellt zunehmend fest, dass ältere Ärzte vor dem „absurden System” resignierten und schnellstmöglich in den Ruhestand gingen. Andere reduzierten ihre Tätigkeit.

„Derzeit sind in dem System alle Verlierer”, beklagt Norbert Misiak, Chef der Barmer Ersatzkasse in Mülheim, die 20 000 Versicherte betreut. Er fürchtet, dass sich die schlechte Stimmung auf das Arzt-Patienten-Verhältnis niederschlägt und sogar Heilungsprozesse behindern könnte. Dabei sei genügend Geld im System, doch die Verteilung müsse neu überdacht werden. „Ich hoffe, das geht schnell.”