Mülheim. .

100 Bürger verfolgten gestern im Ratssaal und per Live-Schaltung die Experten-Anhörung zur bohrenden Frage: Soll das klamme Mülheim weiter auf Straßenbahnen setzen? Die Anhörung bot kontroverse Stellungnahmen der geladenen Fachleute, Mülheims Politik versäumte es aber zu großen Teilen, die Anhörung tatsächlich zum Frage-Antwort-Spiel mit sachdienlichen Hinweisen für die bedeutende Frage der Stadtentwicklung werden zu lassen.

Prof. Heiner Monheim (Trier) und Prof. Rainer Meyfahrt (Kassel) machten deutlich, was sie von der derzeit in Mülheim einseitig geführten Debatte „Bus statt Bahn?“ halten: nämlich gar nichts. Eine Verbesserung des Gesamtsystems sei anzustreben. Wer dafür sorge, dass der Fahrgast nah an seinem Wohnstandort vom ÖPNV abgeholt werde, wer für Qualität sorge, könne auch den Anteil der Nahverkehrskunden steigern. Da, so Monheim, habe das Ruhrgebiet riesigen Nachholbedarf. Anderswo schafften es Städte, 40 % des Verkehrsvolumens durch den ÖPNV abzudecken, dieser sogenannte Modal Split liegt in Mülheim unter 20 %. Meyfahrt mahnt, die Klimadiskussion nicht auszublenden. Wer künftig 20 bis 30 % CO2 einsparen wolle, brauche 50 % mehr Nahverkehrskunden. Monheim und Meyfahrt glauben daher an die Renaissance der Straßenbahn, auch daran, dass die Kommunen bei der Finanzierung schon bald mehr Unterstützung erfahren.

Worauf kommt es wirklich an? Für Max Slawinski, der mit einer Bürgerinitiative den Bau der Aachener Campusbahn verhindern half, ist klar: dass Fahrgäste möglichst direkt mit einem qualitativ hochwertigen Fahrzeug von A nach B kommen. Das, sagt er, gelinge in Aachen mit Bussen sehr gut. Erzwungene Umstiege, um einem Straßenbahnnetz seine Berechtigung zu geben, seien nicht gewünscht. Das habe die Aachener Diskussion deutlich gezeigt.

Vor allem die FDP spitzte die Ohren bei den Redebeiträgen von Christoph Köther, Chef des Hagener ÖPNV-Betriebs. Der setzt ausschließlich auf Busse, fährt Jahr für Jahr rund 20 Mio. Euro weniger Defizit als die MVG ein, befördert aber 20 % mehr Fahrgäste. Meyfahrt hingegen berichtete aus Kassel, dass dort 100 % Fahrgäste hinzugewonnen worden seien, als zwischen Baunatal und Kassel die Busse durch Bahnen ersetzt wurden.

Und nun? Die Politik blieb weitestgehend blass in der eigentlich als Fragerunde gedachten letzten Stunde der Anhörung. Lediglich ein paar Fragen gingen an die Experten, ansonsten waren viele politische Stellungnahmen zu hören. Axel Hercher (Grüne), der die Fragen seiner Fraktion platziert hatte, äußerte seine Enttäuschung darüber, dass die Anhörung so recht eigentlich keine war. Und das lag nicht an den geladenen Experten.

Politiker mehrerer Fraktionen stellten klar, dass sie angesichts des jährlichen Defizits im Mülheimer Nahverkehr von rund 30 Mio. Euro nicht bereit sind, allein auf die große Wende in der deutschen Verkehrspolitik zu hoffen.

An eine Renaissance des ÖPNV auch in der Bereitschaft von Bund und Land, die Kommunen finanziell stärker als bisher zu unterstützen, mag Dieter Wiechering (SPD) nicht glauben. In den 70er-Jahren, so sagte er, sei die „Unterkellerung“ der Innenstadt für Bahnen noch mit 80 % Förderung unterstützt worden, jetzt lasse das Land Mülheim bei den nötigen Unterhaltung im Regen stehen. Eckart Capitain (CDU) stellte klar, das Mülheim nun für sich alleine und verantwortlich schauen müsse, das Defizit runterzufahren, bei gleichzeitig gutem ÖPNV-Angebot.

Peter Beitz (FDP) wollte gleich mal wissen, wie Hagen vor fast 40 Jahren den Ausstieg aus der Straßenbahn organisiert hat. Mülheim müsse runter von den 30 Mio. Euro Defizit „für den ÖPNV, den keiner nutzt. Da haben wir hier große Verantwortung. Eine Straßenbahn ist für uns nicht zu finanzieren.“ Vom Ausstieg wollte Johannes Gliem (SPD) freilich nichts hören. Mülheim, das machten auch die jüngsten Entscheidungen zum Kauf von Straßenbahnen deutlich, werde weiter auf auf beide Systeme (Bus und Schiene) setzen.