Sie sind in Deutschland geboren und aufgewachsen, doch Ihre Muttersprache ist das Deutsche eigentlich nicht: Gehörlose Menschen kommunizieren in erster Linie mit Hilfe von Gebärden - und diese Sprache beherrschen außer ihnen selbst nur sehr wenige Mitbürger. Zum Beispiel Stephan Gollnick. Der 49-Jährige arbeitet als Gebärdendolmetscher und sozialpädagogischer Familienhelfer. Er unterstützt vor allem Familien, in denen gehörlose Eltern hörende Kinder erziehen. In Mülheim, aber auch in anderen Städten zwischen Iserlohn und Dinslaken, ist er unterwegs. Er begleitet seine Klienten in schwierigen Lebenslagen, aber auch bei ganz alltäglichen Aufgaben wie Ärzte- und Ämter-Besuchen.
„Zurzeit bin ich oft bei Elternabenden und Schulpflegschaftssitzungen“, berichtet der gebürtige Rheinländer. Denn: Gehörlose Väter und Mütter können dort ohne Dolmetscher keine Fragen stellen - der Lehrer und die anderen Eltern verstehen seine Gebärden ja nicht. Außerdem: Nicht alle Gehörlosen können so gut von den Lippen ablesen, dass sie überall alles mitbekommen. „Stellen Sie sich doch mal vor, sie gehen zum Jugend- oder Sozialamt und der Sachbearbeiter bombardiert sie mit Amtsdeutsch. Die Fachwörter kennen Hörende meist nicht und Gehörlose noch weniger“, so Stephan Gollnick.
Eine Ausbildung zum Erzieher hat er nach der Schule absolviert und in einem sozialpädagogischen Heim für mehrfach behinderte und gehörlose Menschen gearbeitet. „Irgendwie ist dabei der Wunsche heran gereift, im weiteren beruflichen Leben etwas zu machen, bei dem sowohl Sozialarbeit als auch Gebärdensprache eine Rolle spielen“, berichtet der Eppinghofer. An vielen sozialpädagogische Weiterbildungen hat er teilgenommen sowie an der Ausbildung zum Gebärdendolmetscher.
Vor rund zehn Jahren machte sich Stephan Gollnick selbstständig. Die Jugendämter beauftragen ihn, sozialpädagogische Hilfe in bestimmten Gehörlosen-Familien zu leisten. Wie bei den Hilfen zur Erziehung für Hörende, gilt es auch hier, gemeinsam mit der betreffenden Familie einen Hilfeplan aufzustellen und Ziele zu stecken. „Zunächst muss ich aber ein Vertrauensverhältnis zu den Leuten aufbauen. Sie müssen beispielsweise sicher sein, dass ich auch korrekt dolmetsche und das, was Hörende gesagt haben, auch unverfälscht übersetze.“
Vielfach gilt es in den Familien zudem Beziehungsarbeit anzustoßen und zu begleiten. „Kürzlich hatte ich einen Fall, bei dem der alleinerziehende Vater gehörlos war, die Oma leider keine Gebärdensprache konnte und der kleine Sohn sich weigerte, Gebärden zu erlernen. Da lag die Kommunikation in der Familie brach. Hörende Kinder bringe ich oft dazu, die Gebärdensprache zu lernen, indem ich diese als Geheimsprache hinstelle, die andere Kinder nicht können.“ Eine andere - noch kompliziertere - Geschichte: Die hörende Tochter eines gehörlosen Ehepaars ging einfach nicht mehr zu Schule. Das Familienleben musste ganz neu geordnet werden.
Nicht immer geht es aber um so grundlegende Probleme. „Ich habe auch schon Gehörlosen den Computer eingerichtet oder unterhalte mich mit ihnen über den Job oder die Freizeit. Viele haben nur wenig Kontakt zu anderen Gehörlosen, freuen sich, wenn jemand gebärdisch mit ihnen kommuniziert“, so Stephan Gollnick. Empathie und Authentizität seien wichtige Voraussetzungen für seinen Job. „Gehörlose merken ohnehin, wie du drauf bist, sie haben ein unheimlich gutes Gefühl für Stimmungen, können an deiner Mimik viel ablesen“, sagt er.
Das ständige Praktizieren der Gebärdensprache ist für ihn natürlich Pflicht - damit die vielen „Vokabeln“ auch immer im Kopf bleiben.