Die Wirkung von Minijobs bleibt umstritten. Die Anzahl der Menschen, die davonleben müssen, nimmt zu. Verdi-Mann Günter Wolf beklagt, dass die Ausnahme zur Regel wird.
Flexibilisierung - unter diesem Stichwort sind die Strukturen des Arbeitsmarktes verändert worden. Aber das ist natürlich ein politischer Begriff. Politisch motiviert ist ebenso auch die Kritik an diesem Schlagwort, wie sie etwa von den Gewerkschaften geübt wird: Sie sehen in ihm nur den Versuch, tatsächliche soziale Ungerechtigkeit zu verschleiern. Zu zwei Aspekten der „Flexibilisierung“ liegen nun neue Zahlen vor und ihre Deutung ist ebenso umstritten.
Die Anzahl der befristeten Arbeitsstellen ist landesweit um 2 Prozent gesunken, heißt es in einer aktuellen Studie des Statistischen Bundesamtes. Eine Entwicklung, die sich tendenziell auch in Mülheim zeigt: In den letzten Jahren ist nämlich die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten kontinuierlich gestiegen. Lediglich um 2006 herum gab es einen kleinen Rückschlag. Jetzt liegt die Quote bei rund 57 000 Beschäftigten. Vor zehn Jahren waren es rund 55 000.
Allerdings sagt das Bundesamt auch, dass immerhin 22 Prozent der Bevölkerung sich nicht in normalen Arbeitsverhältnissen befinden. Vor Ort zeigt sich dieser Trend an den geringfügigen Beschäftigungen, zu denen vor allem die im Zuge der Hartz IV-Reform geschaffenen Mini-Jobs zählen: Gab es von ihnen vor zehn Jahren rund 9000, waren es Ende letzten Jahres 16 700.
Soweit die Zahlen. Die Deutung wiederum ist umstritten. Seitens der Agentur für Arbeit werden vor allem die Chancen dieses Job-Modells hervorgehoben. Für die Gewerkschaften führt diese Form der „Flexibilisierung“ in eine Sackgasse.
„Minijobs sind keine Arbeitsverhältnisse zweiter Klasse“, betont Marion Steinhoff, Beauftragte für Chancengleichheit der örtlichen Arbeitsagentur. „Sie haben die gleichen Rechte wie alle anderen auch. Das gilt für den Verdienst aber auch für arbeitsrechtliche Ansprüche wie Urlaub und Mutterschutz.“ Günther Wolf von der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi pflichtet hier sogar bei. Allerdings weiß er aus seiner Beratungspraxis: „Viele Minijobber kennen ihre Rechte nicht. Oder sie haben Angst, sie im Betrieb vorzubringen.“ Die Angst, die dahinter stünde, sei klar: Bei der nächsten Möglichkeit entlassen zu werden.
Aber die Kritik des Gewerkschafters zielt noch tiefer: „Die Minijobs waren ein Geschenk der Politik an die Wirtschaft. Die Arbeitgeber sparen, die Beschäftigten selbst können davon nicht leben und müssen beim Amt aufstocken. Das wird aber mit Steuergeldern bezahlt. Die Normal-Beschäftigten subventionieren also durch ihre Steuergelder diese Branche.“ Wolfs Fazit: „Das ist unsolidarisch.“
Im Textil- und Reinigungsgewerbe seien gut 80 Prozent der Beschäftigten Mini-Jobber. „In bestimmten Einzelhandel-Ketten ist in den einzelnen Filialen nur noch der Chef regulär beschäftigt.“ Da sei der Mini-Job der Normalfall. Marion Steinhoff von der Arbeitsagentur betont hingegen den Flexibilisierungsaspekt. Der Mini-Job sei attraktiv für alle jene, die nach einem Nebenjob suchen. Das können etwa Studenten sein - aber eben auch die Hausfrau, deren Ehemann ein reguläres Beschäftigungsverhältnis mit ausreichendem Einkommen hat, die aber trotzdem nebenbei tätig sein will. Und in der Tat: Von den rund 16 700 Mülheimer Minijobern üben diesen rund 5000 als Nebentätigkeit aus.
Und wie sieht es speziell bei den Frauen aus:? Der Minijob ist in der Tat weiblich, 61,9 Prozent der so Beschäftigten sind Frauen. Und die große Mehrzahl von ihnen haben ausschließlich diese Tätigkeit. Die Zahl derjenigen, die ihn als Nebentätigkeit ausüben, ist weitaus geringer (siehe unten). Gleichwohl für Arbeitsagentur-Beraterin Steinhoff bietet gerade die Nebenjob die Option, eine gute Möglichkeit für Frauen, etwa nach einer Familien-Pause wieder in das Arbeitsleben einzusteigen. Wenn auch, so gesteht sie zu, dies oft nicht im erlernten Beruf erfolge. Gewerkschafter Günther Wolf aber bleibt kritisch: „Ich will ja niemanden vorschreiben, ob er eine Voll- oder Nebenbeschäftigung haben soll. Aber warum soll das nicht auch im Rahmen eines normalen Arbeitsverhältnisses gehen“, fragt er. „Das kann ja auch in Teilzeit ausgeübt werden.“ Es zeigt sich, auch angesichts der neuen Zahlen: Die Struktur des Arbeitsmarktes bleibt umstritten
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61,9 Prozent aller Minijobber sind Frauen. 7455 gehen ausschließlich dieser Tätigkeit nach. Der Anteil der Nebenjobberinnen ist um 2,3 Prozent gestiegen, liegt aber nur bei 2846 Frauen.