Das Auto brauchen sie nur zum Getränkekauf. Alles andere erledigt Familie Müller auf zwei Rädern – und dazu gehört auch immer wieder der Urlaub. Nach München, von der Ruhrquelle zur Ruhrmündung ging es dabei unter anderem auf dem Fahrrad, oftmals in Begleitung von Enkelkindern. Jede Tour hatte ihre unvergesslichen Momente. Doch die Reise, die Gerhard Müller besonders in Gedächtnis geblieben ist, war seine allererste: 1948 radelte er mit einem Freund von seinem Geburtsort Neustadt bei Coburg zum Bodensee und zurück.
16 Jahre war Gerhard Müller damals alt und fühlte sich „durch die Zonengrenze eingesperrt“. Er wollte nur „raus aus dem Nest“ Neustadt, etwas machen und erleben. Doch die Grenze ließ da nur eine Richtung zu: gen Süden. Eben dort wollte Gerhard Müller hin, zum Bodensee. Also plante er die Reiseroute und suchte in seiner Realschulklasse Mitfahrer; doch nur ein Klassenkamerad ließ sich auf das Wagnis ein.
Von Jugendherberge zu Jugendherberge führte die festgelegte Strecke: Von Erlangen nach Nürnberg war ein Etappe, weiter ging es „über den Weißwurstäquator“ unter anderem nach Friedrichshafen über den Bodensee nach Konstanz über Freiburg, Baden-Baden und Würzburg zurück nach Hause.
14 Tage dauerte die Reise. 70, 80 Kilometer legten die Jungen pro Tag zurück. Trainieren musste Gerhard Müller dafür überhaupt nicht. In der Nachkriegszeit war er fast nur auf dem Fahrrad unterwegs. „Hamstern“, erinnert er sich zurück, „wäre ohne Rad nicht möglich gewesen. Und da fuhr man machmal mit kiloweise Kartoffeln oder Rüben auf dem Rad nach Hause.“
Der Stopp in Bregenz ist dem heute 81-Jährigen besonders in Erinnerung geblieben. „Bereits drei Jahre nach Kriegsende“ fanden dort wieder die Festspiele statt, und Müller gerät heute noch ins Schwärmen, wenn er von den schwimmenden Bühnen berichtet. „Fantastisch“, lautet sein kurzes Fazit. Anekdoten kann der Saarner in der Tat viele erzählen. Wie er in Friedrichshafen die erste Banane seines Lebens aß, beispielsweise. 50 Pfennige ließ er sich die kosten. Damals kam er auf den Geschmack: „Ich ess die heute noch gerne.“
Nachhaltig beeinflusst hat die Reise jedoch nicht nur seine Vorliebe für Urlaube auf Zweirädern: Mit einem Raddampfer überquerten die beiden Jugendlichen damals 1948 das „Schwäbische Meer“. Die Technik, die sich bewegenden Kolben faszinierten Müller so, dass er sich entschloss, Ingenieur zu werden. Eine Entscheidung, die ihn bei der Arbeitssuche zu Siemens und nach Mülheim brachte, wo er seine spätere Frau traf. Und die ist zum Glück ebenso gerne auf zwei Rädern unterwegs wie ihr Mann. . .