Bronwen Gray-Specht stammt aus einer englischen Schauspielerfamilie und ist schon ihr ganzes Leben auf internationalen Bühnen daheim. Ihr Traum erfüllt sich erst hier: das Leaf-Festival
Kunst ist für Bronwen Gray -Specht nichts Abstraktes, sondern ihr Leben. Ich bin auf der Bühne quasi aufgewachsen. Für die gebürtige Britin, die 1989 der Liebe wegen nach Deutschland gezogen ist, hat sich daher auch eigentlich nie die Frage nach einer Alternative zum Weg ins künstlerische Fach gestellt. Meine Eltern haben mir da nie rein geredet, aber vermutlich hätten sie ganz gerne gesehen, wenn ich vielleicht Geschichte oder so etwas studiert hätte, erinnert sie sich. In England sei die Schauspielerei nämlich eine materiell ziemlich unsichere Sache. Meine Eltern waren bei einer Company. unter Vertrag. Da konnte es sein, dass man innerhalb von zwei Tagen plötzlich ohne Job da stand. Nur weil das Stück vielleicht nicht so gut angelaufen war. Gray-Specht lacht: Aber bei uns gab es immer genug zu essen.
Und in der Tat, Bronwen Gray-Spechts Eltern waren durchaus etabliert in der britischen Theater-Szene. Ihr Vater, Peter Gray, war das, was man in der britischen Theatersprache einen „light comedian“ nennt. Das heißt: Der Stoff des Stückes ist schon einer Kommödie ähnlich, aber im Gegensatz zum typischen Comedian reißt er keine Possen, er ist kein Clown. Sein Humor ist hintergründig.
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an kann es sich besser vorstellen, wenn man weiß, wer etwa zu den Weggefährten von Gray senior gehörte: Margret Ruhterford zum Beispiel - hier in Deutschland vor allem wegen ihrer Darstellung der schrulligen Miss Marple bekannt, wer sie aber schon einmal als Herzogin von Brighton in dem Film „Hotel International“ gesehen hat, mag erahnen, wie hintergründig dieser Humor sein kann. Typisch britisch - zumindest insofern, als dass diese Form über die Welt zu lachen, nicht unbedingt zum Schenkelklopfen führt. Hier ist Understatement gefragt. Eine Eigenschaft, die auch Bronwen Gray-Specht auszeichnet. Man merkt es, wenn sie von den Stationen ihrer weiteren Karriere berichtet. Denn die hat es durchaus in sich.
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iverse Theaterengagements, auch Auftritte im Fernsehen, für die BBC konzipiert sie schließlich auch selbst Filme. Einer handelt von Peter Brook, der heute als eine Art Doyen unter den zeitgenössischen Theaterregisseuren gilt. Gray-Specht war längere Zeit seine Assistentin.
Ihr Berufsleben führte sie aber auch ins Ausland: Lange Jahre gehörte sie zum Organisationsteam eines Kultur-Festivals in Südamerika. Und trotz dieser Vielfalt, sagt sie heute: Mein Traum hat sich erst hier in Mülheim erfüllt. Dabei hatte sie diesen Traum schon sehr lange: Seit ich 17 war, hatte ich den Wunsch, ein eigenes Festival zu entwickeln und zu leiten. Das war damals vielleicht naiv, aber ich habe diese Idee nie aufgegeben. Ihre Faszination: „Ich finde es schön Menschen zusammenzubringen, die gemeinsam Freude haben.
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o einfach kann der Grundgedanke hinter einem Kulturfestival klingen. Kein Programmkonzept mit Endlos-Sätzen wie man es von manchen Bühnen kennt, kein L’art pour L’art-Dünkel, sondern ein Ansatz, der ganz bewusst in die Breite wirken will.
Möglichst jeder soll im Programm etwas finden, was ihn anspricht. Freilich scheint auch dies ein wenig mit der englischen Perspektive auf die Kunst zusammenzuhängen: Der Unterschied zwischen der englischen und deutschen Theaterszene besteht darin, dass die Deutschen mehr den Anspruch haben, Avantgarde zu sein. Und das sind sie auch, dafür habe ich großen Respekt, sagt Gray-Specht.
Aber ihr Festival das sollte etwas für Jedermann sein - ja, vielleicht auch für solche Menschen, die sonst gar nicht in modernes Theater gehen oder ein klassisches Konzert besuchen. Die Geschmäcker sind eben unterschiedlich, sagt Gray-Specht. Und das heiße eben, dass kein Geschmack besser sei als der andere. Und dann, bei einer Wanderung, hatte sie plötzlich die Idee, wie sie dieses Konzept auf den Begriff bringen kann: Ich bin nur eine kurze Strecke gelaufen. Aber in diesem Landschaftsabschnitt standen Bäume mit insgesamt 50 verschiedenen Blättersorten. Diese Vielfalt hat mich fasziniert. Und inspiriert. Kurz darauf, wieder durch puren Zufall, stößt Bronwen Gray-Specht auf ein Zitat : We are alle leaves of a tree, and the tree ist humanity.
Dieser Ausspruch des spanischen Cellisten Pablo Casals hat sie sofort fasziniert: Vielfalt als Weg zur Menschlichkeit - und so bekam das Festival seinen Namen: „Leaf“ - auf deutsch: Blatt.
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m letzten Jahr ging es zum ersten Mal über die Bühne. Es gab sehr viel Zuspruch. Bronwen Gray-Specht und ihre Mitstreiter vom Verein „Interkultur“, mit denen sie gemeinsam das Festival organisiert, sind gespannt wie viel Interesse das Programm in diesem Jahr finden wird.
Vielfältig ist es selbstredend auch in diesem Jahr: Man findet klassische Shakespeare-Inszenierungen genauso wie Konzerte von Jugend-Bands. Ich würde mich über viele Besucher freuen, sagt Bronwen Gray-Specht. Auch dies wieder mit typischem Understatement.