Längst auch ein Hobby für Jugendliche: Andreas findet beim Angeln an der Ruhr Entspannung
Ältere Herren, den Hut im Gesicht, dösend auf einem Hocker am kleinen Weiher sitzend. Die Vorstellung, dass Angeln nur etwas für Menschen im fortgeschrittenen Alter ist, ist längst überholt.
Ruckartig schreckt er hoch, zieht und schwenkt die Schnur: Wo gerade noch eine kleine Made hing, zappelt ein Fisch. Silbrig und glänzend in der Abendsonne. Mit wenigen Handgriffen erlöst und verpackt Andreas den Fisch. Seit zehn Jahren zieht es den 24-Jährigen regelmäßig an die Ruhr und er glaubt nicht, dass Angeln nur was für alte Herren ist.
Mit der schweren Angeltasche und dem vollgepackten Rucksack geht’s ans Wasser. Dort angekommen, packt Andreas erst einmal aus: Maden, Würmer, Mais sollen die Fische locken. Heute ist das Wasser ruhig, direkt hinter der Schleuse. Federn und Blätter ziehen vorbei, Wolken spiegeln sich, ebenso die nahe Schlossbrücke. Doch das Wasser ist trüb, kein Fisch ist zu sehen. Ob da einer anbeißt? Immer wieder steigen Luftblasen auf. Ringe bilden sich auf der Wasseroberfläche. Dann verlieren sie sich wieder. „Ein Zeichen für Fische“, meint Andreas. Es scheint ein guter Platz zu sein.
Menschliches Grundbedürfnis
Fischen und Jagen ist ein uraltes menschliches Grundbedürfnis, davon scheint Hans Jochen Keienburg überzeugt: „Wenn ein Fisch beißt, möchte man am liebsten zehn Hände zeitgleich haben.“ Als Vorsitzender der Interessengemeinschaft Untere Ruhr freut er sich über jeden Jugendlichen, der nicht nur zu Hause rumsitzt. Gemeinschaftlich am Wasser zu hocken, miteinander zu wetteifern - das macht den Reiz für die jungen Leute aus. Und natürlich gebe es auch bei den Jugendlichen die kleinen Philosophen, die am Ufer sitzen und dabei über das Leben nachdenken.
Leichter Wind wühlt das Wasser auf, sachte Wellen erfassen die Wasseroberfläche, das Abendlicht bricht sich darin. Die Schnur surrt das erste Mal durch die Luft: Der Schwimmer zeigt an, wo der Haken im Wasser ist. Nur die rote Spitze vom Schwimmer ragt jetzt noch raus. Bei den Spiegelungen ist es schwer, den roten Punkt im Auge zu behalten. Dann ist er weg. Und taucht kurz darauf wieder auf. Mit einem Ruck zieht Andreas die Angel aus dem Wasser. Kein Fisch ist dran, aber auch keine Maden mehr: nur noch ihre Hüllen. Sie sind völlig ausgelutscht. „Da war einer dran, auf jeden Fall. Sowas bekommt nur ein Fisch hin!“, bemerkt Andreas erwartungsvoll. Angebissen hat dieser nicht. Aber die Stelle ist die richtige. Schnell werden neue Maden an den Haken gehängt.
Faszination Fischen
„Manch einer würde in der Ruhr vielleicht nicht mehr schwimmen gehen, wenn er sehen würde, was für Fische hier leben“, vermutet Walter Endemann. Er leitet den Verein Schloßbrücke und gestaltet die Jugendarbeit: regelmäßig organisiert er Angelausflüge mit bis zu 26 Jugendlichen. Spricht er über das Fischen, gerät er ins Schwärmen: „Die Hechte können über einen Meter lang sein, und der Wels wird bis zu zwei Meter groß. Das fasziniert schon die ganz Kleinen: die großen Fische, die Natur, die Gemeinschaft.“ Mit zehn Jahren dürfen Kinder bei ihm ihren Jugendfischereischein machen, und ab vierzehn die Angelprüfung, um auch alleine loszuziehen. „In kleinen Gruppen gehen sie dann gemeinsam angeln - natürlich nicht am selben Fleck.“, sagt Endemann. Und dann wird gewartet, ob einer anbeißt.
Das tut auch Andreas. In der Zwischenzeit füllt er einen Futterkorb mit Paniermehl, Mais und Fertigfutter. Dann bereitet er die zweite Angel vor. Jetzt muss die Angelspitze beobachtet werden: bei der „Feeder Technik“ zuckt sie, wenn sich ein Fisch die Köder schmecken lässt. Und zack! Ein Ruck! Kaum war die Angel im Wasser, holt Andreas sie wieder ein. Rot und silbrig zappelt‘s am Haken. Ein Rotauge, unschwer zu erkennen. Der Haken wird aus dem Maul entfernt und der Fisch mit einem Schlag kurz und schnell erlöst. Dann verpackt.
Und wo ist nun der rote Schwimmer? Ist doch die erste Angel ganz in Vergessenheit geraten. Nicht aber bei den Fischen: die Maden sind wieder abgeknabbert. Schwierig ist es, beide Angeln im Auge zu behalten. Nächster Versuch. Liegt‘s an dem Licht oder ist der Schwimmer wieder weg? Beim Heranziehen der Angel sieht man schon ein silbriges Glänzen unter der Wasseroberfläche. Mit Geduld und einem Kescher ist der Fisch schließlich aus dem Wasser geholt. „Er hat gebissen wie ein Winzling, aber er ist knappe fünfundzwanzig Zentimeter groß“, staunt Andreas. Wieder ein Rotauge, sie kommen in der Ruhr sehr häufig vor.
Lange tut sich nichts. Es wird dunkler, kälter, der Wind stärker. Der Schwimmer verschwindet, und taucht wieder auf. Aber erneut hat nichts angebissen. Die Unruhe im Wasser führt zu den Trugschlüssen. Auch die Spitze der anderen Angel vibriert im Wind, nicht etwa weil ein Fisch gebissen hat. Nicht jedes Mal beim Angeln beißt einer an. Das weiß Andreas aus Erfahrung. Und doch findet er es spannend. Sein Patenonkel hat ihn schon als kleinen Jungen mit zum Angeln genommen, da gab‘s dann auch die erste eigene Angel. Draußen in der Natur zu sein, auf andere Gedanken zu kommen. „Viele meinen, Angeln sei langweilig. Da sitzt man die ganze Zeit und starrt auf die Angelspitze. Steht man aber an einer Stelle, wo viele Menschen vorbeilaufen, wird man oft neugierig gefragt - Und, schon was gefangen? – So langweilig kann‘s also gar nicht sein!“
Haken, Schnüre, Köder, Angelruten – ein chaotisches Zusammenpacken der ganzen Ausrüstung schließt Andreas heutigen Ausflug ab. Und die Fische nicht vergessen! Die landen später noch in der Pfanne, nach dem Ausnehmen natürlich: „Frischer kann ein Fisch kaum sein, vor ein paar Stunden schwamm er noch in der Ruhr.“