Siemens-Betriebsratschef Pietro Bazzoli im Interview über den neuen Mann an der Konzern-Spitze, Joe Kaeser, die Energiewende und den Standort Mülheim
Eine wirkliche Überraschung war sie nicht mehr, die gestrige Ernennung von Joe Kaeser zum Siemens-Vorstandschef. Die Ablösung des glücklosen Vorgängers Peter Löscher hatte ja einen längeren Vorlauf. Im Mülheimer Siemens-Werk, einem der größten überhaupt, hat man die Entwicklungen an der Konzernspitze mit ebensolchem Interesse verfolgt wie schon das Ringen um die Energiewende und die richtige Firmenstrategie. Für Beschäftigte, die ihre Antriebe vorwiegend für klassische Kraftwerke herstellen, ist das von großer Bedeutung. Ganz unvorbereitet war Betriebsratschef Pietro Bazzoli mithin nicht, als wir ihn gestern zum Interview über den Neuen und die Lage baten.
Herr Bazzoli, Ihr neuer Vorstandschef Joe Kaeser will Siemens in ein ruhiges Fahrwasser führen und spricht vom „Hochleistungsteam Siemens“. Der richtige Mann, der richtige Weg?
Bazzoli: Was mich umtreibt, schon seit Langem umtreibt, ist weniger die Frage, wie der Konzernchef heißt. Mich hat mit Sorge erfüllt, dass es zuletzt um kurzfristige Ziele gegangen ist, auch um die kurzfristige Erwartung an Rendite. Ich glaube aber, und die Mitarbeiter glauben das auch, dass die Langfristigkeit der Strategie entscheidet. Wenn Herr Kaeser das meinte und so umsetzen will, werden wir ihn daran messen können.
Kaeser will den Konzern und die Unternehmensziele nicht über einen Kamm scheren, sondern nach Bereichen betrachten, also gesondert nach Energie, Industrie, Medizintechnik und Infrastruktur. Was heißt das für ein Werk der Energy-Sparte?
Wir wissen, dass wir mit klassischer Kraftwerkstechnologie einen wichtigen Beitrag in Zeiten der Energiewende leisten. Wir sind zur Unterstützung unverzichtbar...
Klingt, als seien Generatoren und Turbinen für Kraftwerke herkömmlicher Bauart eine Übergangstechnologie?
Das ist so, darüber muss man sich im Klaren sein. Wir sind es jedenfalls. Aber eben deswegen ist die Perspektive für die Beschäftigten so wichtig und wenn ich Perspektive sage, dann meine ich lange Zyklen von 10, 20, 30 Jahren.
Und Perspektive heißt?
Da gibt es klare Fragen. Wie geht es weiter mit der Energiewende? Worauf müssen sich Industrie und Abnehmer, aber auch jeder Einzelne einstellen? In welcher Weise betrifft das unseren Konzern und wie die Mitarbeiter? Was sind unsere Lösungen für die Zukunft? Und wo, bitte, und das ist eine Frage an die Politik, an die Bundesregierung, wo ist der Masterplan für das Energiethema? Wir brauchen endlich Klarheit, nicht nur bei Siemens, aber auch bei Siemens.
Das heißt auch, wie geht es für Siemens in Mülheim weiter?
Natürlich. Diese Frage steht schon seit einiger Zeit im Raum. Wir haben ja in Mülheim eher zu wenig als zu viel zu tun und reden deswegen auch über Strategien, solche Phasen abzufedern, etwa über Arbeitszeitkonten. Wir merken doch, dass Kunden bei Neubestellungen ebenso zurückhaltend sind wie inzwischen auch beim Service. Wer wollte ihnen das auch verdenken, wenn der allgemeine Kurs der nächsten Jahre unklar ist?
Die Zeit der großen Zuwächse für Siemens in Mülheim ist vorbei?
Das weiß ich nicht. Wir können aber festhalten, dass wir in den letzten Jahren beständig auf 5000 Beschäftigte angewachsen sind und jetzt über den Status quo reden.
Sorgen muss sich aber keiner machen?
Unter Peter Löscher hat Siemens eine unbefristete Beschäftigungsgarantie für alle Mitarbeiter in Deutschland gegeben. Wie sich der neue Vorstand dazu stellt, wird eine interessante Frage sein. Denn, man kann es nicht oft genug betonen, wir sind ja unverändert ein erfolgreicher Konzern. Die Beschäftigten sind stolz, bei Siemens zu arbeiten. es gibt eine tiefe Verbundenheit. Genau deswegen erwarten wir jetzt ja auch Verbindlichkeit für die Zukunft. Nur wer Vertrauen spürt, ist auch in der Lage, in dem Maße innovativ zu sein, wie es der Mülheimer Standort immer war.
Mit anderen Worten: Sie hoffen, dass Kaeser dem Konzern Zeit gibt und nicht Renditehürden setzt?
Geben wir ihm alle doch hundert Tage und achten auf Taten statt Versprechungen. Richtig aber ist, dass wir hier von einem Spagat zwischen berechtigten Gewinnerwartungen und einem zukunftsfähigen Unternehmensprogramm reden. Richtig ist aber auch: Das wird nicht gehen, ohne die Mitarbeiter mit all ihren Kenntnissen und ihrer Begeisterungsfähigkeit zu beteiligen.