Warum der Vater ausgerechnet in dieser Nacht darauf bestand, nach dem Bombenalarm nicht im eigenen Keller des Wohnhauses an der Charlottenstraße 1 auf Entwarnung zu warten – Manfred Mertsch (74) weiß es nicht. In der Nacht zum 23. Juni 1943 jedenfalls war es die goldrichtige Entscheidung. Mülheim sollte erstmals und so stark wie nie mehr danach Ziel eines Bombenangriffs britischer Flieger werden.
Als der Alarm ertönt, geht es auf väterliche Order für Manfred Mertsch gemeinsam mit Mutter, dem jüngeren Bruder und der gerade erst geborenen Schwester über den Garagenhof von Stamm zum Amtsgericht. Sind ja nur 150 Meter. Am Himmel sieht der kleine Manfred schon die „Christbäume“ hell leuchten, die Briten markieren Mülheim als Angriffsziel.
Der Keller im Amtsgericht, erinnert er sich, war stabil abgesichert. „Alle 80 Zentimeter gab’s einen Stempel, der ganze Keller war von Stempeln durchsät“, sagt Manfred Mertsch, der heute in Speldorf wohnt. Zwischen den Stempeln hockten die Menschen, die im Amtsgericht Schutz suchten, weil der neue Bunker unten an der Ruhr damals noch im Bau war. „Es war alles ruhig, keiner hat gebetet, keiner geweint“, erzählt Manfred Mertsch.
Gemüsehändler rettete Waage
Nach der Entwarnung ging’s nach draußen. Das Haus von Gemüsehändler Hollenberg brannte. „Als ich an der Ecke Charlotten-/Friedrich-Ebert-Straße stand, sah ich, wie der Hollenberg auf einmal noch ins Geschäft lief und eine Waage rausholte“, berichtet der Zeitzeuge Manfred Mertsch.
Ansonsten habe es die Häuser vorne in der Charlottenstraße nicht getroffen, „es ist nichts angebrannt“. Dass Familie Mertsch nach dem schweren Luftangriff noch eine Wohnung hatte, konnte sie einem Mitbewohner verdanken. Eine Brandbombe, die ins Treppenhaus der ersten Etage geflogen war, schmiss er aus dem Fenster raus.
So blieben die Häuser der Charlottenstraße im Krieg erhalten. Erst später mussten sie für den Neubau der Konrad-Adenauer-Brücke samt seiner Hochbrücken weichen.