Der Eigentümer Anderson Holding streitet mit dem Energiedienstleister Medl immer noch um recht viel Geld. Im Hintergrund laufen aber längst Gespräche, in denen es um mehr als eine Rechnung geht.

Susanne Palmers kann ihre Herkunft nicht verleugnen und will es auch gar nicht. Die 48-Jährige arbeitet in Berlin, in verschiedenen Leitungsfunktionen für die Anderson Holding AG und hat über Mülheim an sich inzwischen eine umgangssprachlich flotte Meinung. „Da muss man mal richtig reinhauen“, berlinerte Palmers gestern am Telefon und ließ keinen Zweifel, wen sie da meint: Den Energiedienstleister Medl, die Stadt, die Politik, „die Quatschköppe“, die sie „in diesem Dorf da“ ausgemacht hat, solche, die nur Gerüchte streuten. Palmers kann da richtig sauer werden. Die Gemütslage der meisten „Quatschköppe“ ist eine andere.

Eine sorgenvolle.

Die Vorgeschichte: Von großenPlänen und einer Insolvenz

Vor einem Jahr hat die Anderson Holding aus der Insolvenzmasse des katholischen Engelbertus-Geflechts den Wohnpark Dimbeck übernommen. Der ist Heimstatt für über 150 ältere Menschen, teils zur Miete, teils zur Pflege, beschäftigt 190 Menschen, steht aber mehr als sinnbildlich für den misslungenen Ausflug der Engelbertus-Firmen in das Segment Seniorenresidenz. Baumängel traten auf, insgesamt trugen die Ausgaben ihren Teil zum Schuldenberg von 18 Millionen Euro bei, der letztlich Engelbertus in die Insolvenz trieb. Es gab Ermittlungsverfahren, zwischenzeitlich interessierten sich die Staatsanwälte für den Fall.

Dessen ungeachtet ist die Einrichtung nahezu voll belegt und glänzt mit Spitzenwerten in der Pflege. Viele Bewohner merkten damals von den Vorgängen hinter den Kulissen nichts und glaubten auch, was Anderson zur Übernahme im vorigen Jahr erklärte: an einem langfristiges Engagement interessiert zu sein. Die Botschaft: Es kehrt Ruhe ein.

Offene Rechnungen: DerAnfang einer Krisengeschichte

Das hat sich geändert. Im Mai berichtete die NRZ erstmals davon, dass Anderson für Dimbeck Rechnungen nicht bezahlte, in dem Fall die des Energiedienstleisters Medl. Auf 170000 Euro summierten sich die Außenstände schon, inzwischen hat Anderson, wie Palmers erklärt, die aktuelle Rechnung bezahlt, will aber einen Sockelbetrag von 100000 Euro einbehalten. Warum: „Wir haben auch Forderungen an die Medl. Damals ist Mist gebaut worden.“

Beide Seiten beschäftigen inzwischen Anwälte. Ein Rechtsstreit unter Geschäftspartnern, einer wie viele? Wohl nicht ganz.

Die Begleitumstände: Fälle aus anderen Städten

In Mülheim geht die Befürchtung um, Anderson handele systematisch. Bereits in der vorigen Woche gab es ein Krisengespräch unter Beteiligung der Heimaufsicht. Nach NRZ-Informationen ging es dabei vorrangig um die Frage, was passiert, wenn die Medl den Wohnpark so behandelt wie jeden anderen säumigen Kunden auch, also die Wärmelieferung einstellt. Das Ergebnis: Eine Pflege wäre nicht mehr zu gewährleisten, die Bewohner müssten auf andere Einrichtungen verteilt werden. Logistisch machbar, politisch aber höchst heikel und für die Bewohner eine extreme Belastung. Abschalten? Für Oberbürgermeisterin Dagmar Mühlenfeld beispielsweise ist das keine Option.

Die aber macht an der Dimbeck schon die Runde. Ob sie wirklich „abklemmen wollten“, so fragten Bewohner vorige Woche zwei verblüffte Techniker der Medl, die zu ganz normalen Wartungsarbeiten in der Einrichtung waren. Tatsächlich ahnt wohl auch Frau Palmers in Berlin, was da noch kommen könnte und lässt sich am Telefon länger über die Bewohner aus, von denen „viele Sozialhilfeempfänger“ seien. Dabei geht es längst um mehr als eine Lieferantenrechnung.

Die Befürchtungen in Mülheim speisen sich aus Erfahrungen, die andernorts mit der Anderson Holding vorliegen, etwa mit der Gesellschaft BonneVie in Radevormwald. 2010 hatte Anderson die Einrichtung mit 450 Plätzen übernommen, später erst Rechnungen und dann Gehälter nicht gezahlt, wie ehemalige Mitarbeiter bestätigen. Am Ende musste ein neuer Betreiber her und auch im Fall BonneVie interessierten sich Ermittler für die Vorgänge.

Auch in Radevormwald gab Anderson immer Gründe an, warum man nicht zahlen wolle, meistens, wie an der Dimbeck, waren es angebliche Baumängel. Interesse an solchen Erfahrungen hat inzwischen auch der Rechtsanwalt Axel Schwentker in Oberhausen, der Insolvenzverwalter bei Engelbertus. Schwentker hatte damals einen ganzen Strauß von Interessenten für die Dimbeck, darunter bekannte Pflegegesellschaften. Dass der Hauptgläubiger, eine österreichische Bank, schließlich Anderson den Vorzug gab, hatte einen einfachen Grund: den Preis. Schwentker selbst äußert sich darüber nicht, aus dem Umfeld der Gläubiger heißt es aber, der habe um etliche Millionen über dem sehr schmalen Korridor gelegen, den die anderen Angebote einnahmen.

Die Gleichförmigkeit der Gebote lässt sich ebenfalls leicht erklären. Die Refinanzierungssätze im Pflegebereich, die über den Landschaftsverband Rheinland fließen, liegen einigermaßen fest und erreichen in der Spitze 90000 Euro pro Bewohner. Anderson rangierte dem Vernehmen nach weit darüber und schon damals fragten sich Experten aus der Pflegebranche, „wie die das Geld wieder hereinholen wollen.“

Die Frage provoziert eine Gegenfrage und die ist bei Susanne Palmers gut aufgehoben: Hat Anderson seine Zahlungsverpflichtungen aus der Übernahme erfüllt? Die Antwort fällt gar nicht mehr berlinerisch aus. Es gebe da „ganz komplizierte Verträge“. Ein einfaches Ja ist von ihr nicht zu bekommen.

Der Ausblick: Verhandlungenund ein neuer Betreiber?

Dafür bekennt sie offen, dass bei Anderson „die erste Euphorie“ verflogen ist. Wie weit verflogen? Naja, sagt sie, „rufen Sie in drei Wochen nochmal an, vielleicht sind die Verhandlungen dann abgeschlossen.“

Verhandlungen? Worüber?

Teilnehmern der Krisenrunde fällt dazu nur ein Thema ein: der Übergang der Dimbeck an einen neuen Betreiber. Tatsächlich gibt es bereits Kontakte zu einer großen, deutschen Pflegekette, die in Mülheim bislang noch nicht aktiv ist. Letztlich läge ein Wechsel in der Entscheidung des Hauptgläubigers. Kommt es dazu, hätte die Krisenrunde schon zwei Wünsche.

Erstens, dass es keine drei Wochen mehr dauert und zweitens, dass die Bewohner davon nichts merken. Ganz wie damals.