Geplant war es als Einstiegshilfe. Wenige Stunden bevor der Stadtrat über den Ausstieg aus dem Schienenverkehr entscheidet (heute, 16 Uhr, Altes Rathaus), setzte Stadtkämmerer Uwe Bonan noch ein paar Argumente gegen die Straßenbahn ab. Unter der etwas sperrigen Überschrift „Grundlegende Neuausrichtung im ÖPNV unumgänglich“, zog der Kämmerer vom Leder. Es gehe um ein klares Entweder-Oder, schrieb Bonan in einer Mitteilung. Entweder die Stadt realisiert bei Bahn und U-Bahn Einspareffekte, die er auf 12 Millionen Euro bezifferte, oder es müssten, um auf dieselbe Summe zu kommen, Kunstmuseum, Theater, Büchereien, Stadthalle, Naturbad und Wennmann-Bad dichtgemacht werden. Gleichzeitig. Einigermaßen zufrieden verließ der Kämmerer daraufhin das Büro. Daumenschrauben gezeigt, Entscheidung abgesichert. Kein schlechter Tag für einen, der Miese in Millionen berechnet.

Doch es kam anders.

„Wir sind doch nicht auf dem Lande“

Keine Stunde später kündigten der Betriebsrat der MVG und die Gewerkschaft Verdi „erbitterten Widerstand“ an. Der Einstieg in einen ganz leicht zu privatisierenden Busverkehr müsse „unter allen Umständen verhindert“ werden, schrieben die Gewerkschafter und riefen Beschäftigte und Bürger für heute zur Demonstration vor dem Ratssaal auf - auch Beschäftigte anderer Verkehrsgesellschaften. Die Gewerkschaften sind nicht die einzigen, die einen Flächenbrand befürchten.

Die MVG ist mit der Duisburger und der Essener Verkehrsgesellschaft im Verbund Via zusammengeschlossen. Die U 18 und die 104 fahren nach Essen, die 901 nach Duisburg, die 112 nach Oberhausen. Informationsstand in den jeweiligen Städten? Null. „Ich bin stinksauer“, sagte der Aufsichtsratsvorsitzenden der Evag, Wolfgang Weber (SPD). „Wir sind doch hier nicht auf dem Lande, wo wir ein paar Busse über die Dörfer schicken“. Mülheim, grollte Weber, verstoße im Alleingang gegen den Kooperationsgedanken im Nahverkehr, gegen die Vorgaben der Berzirksregierung und gegen die Konzessionen. Dass MVG-Aufsichtsratschef Wolfgang Michels das mittrage, sei ein Unding: „Dann soll er zurücktreten.“

Was im Umland wundert, ist auch das finanzielle Untergangsszenario, das vor allem der Chef der städtischen Beteiligungsholding. Hendrik Dönnebrink, malt. Dabei belastet der Kauf von 20 Straßenbahnen, die im Rat heute formal zur Beschlussfassung stehen, die Bilanzen zwar. Die Summe ist aber nach Auffassung von Fachleuten nicht so hoch, dass sie einen bundesweit einmaligen Systemwechsel erfordert (s. Fragen und Antworten). Der Umstieg, sagt der Betriebsratschef der Evag, Wolfgang Hausmann, „ist der falsche Weg.“ Und Weber fragt spitz: „Sollen wir 30000 Fahrgäste der U 18 in Bussen kutschieren?“

Versteckte Botschaften

In Mülheim war man gestern wegen der Wucht der Reaktionen erschlagen, jedenfalls weitgehend sprachlos. MVG-Chef Hans-Peter Wandelenus hat aus seinem Plädoyer für einen schienengebunden Nahverkehr nie einen Hehl gemacht, äußerte sich aber in dieser brisanten Situation gleich gar nicht. Er ist weisungsgebunden. Zudem kann er lesen. In seiner Mitteilung schrieb Bonan, er wolle vermeiden, dass „durch ein ideologisches Festhalten am kostenintensiven und unflexiblen Schienenverkehr die Defizite der MVG weiter explodieren“. Das musste man als Kritik an Wandelenus deuten, zumal das Papier noch an anderer Stelle auf versteckten Botschaften gründete. Bonan schrieb, „es müsse egal sein, ob die Kunden mit Bus oder Bahn befördert werden. Wichtig ist, dass dies pünktlich, sicher, sauber, kunden- und nachfrageorientiert und wirtschaftlich erfolgt.“ So hat es vor Kurzem Oberbürgermeisterin Dagmar Mühlenfeld (SPD) in einer Bürgerversammlung gesagt. Die Botschaft war klar.

Da muss auch keiner mehr anrufen.