Nicht alles, was politische Entscheidungsträger für bedeutsam erachten, ist es auch. Mit der Ratssitzung am kommenden Donnerstag ist das anders. Vor allem die Stadtverwaltung will nächste Woche den Abschied von der Schiene einläuten - aus Kostengründen.

Bis zum Jahr 2021 sollen alle Straßenbahnen eingemottet und der Nahverkehr in Mülheim vollständig auf Busse umgestellt sein. In der CDU ist man bereits entschlossen, dem Geldmangel nachzugeben und der von der MVG beantragten Anschaffung von 20 neuen Straßenbahnen zu widersprechen. Zehn reichen, meinen die Christdemokraten nun, vorausgesetzt, die MVG stellt ihren Takt von 10 auf 15 Minuten um. Weil die MVG die Bahnen zügig bestellen müsste, drängt die Stadtspitze schon am Donnerstag auf eine Weichenstellung, die mit dem Beschluss eines Nahverkehrsplans im Oktober genauer ausgearbeitet werden könnte.

Dönnebrink macht Druck

Der oberste Finanzcontroller der Stadtverwaltung, Dr. Hendrik Dönnebrink, untermauert die Kehrtwende seit Tagen in verschiedenen Gremiensitzungen. Er sagt: Zwei Drittel des jährlichen MVG-Defizits von 30 Millionen Euro resultieren aus der Bahn (s. Seite 5). Manche seiner Argumente haben bereits Wirkung erzielt. Als es im Aufsichtsrat der MVG kürzlich um die folgenschwere Bestellung ging, enthielt sich unerwartet sogar der Aufsichtsratsvorsitzende Wolfgang Michels (CDU) der Stimme.

Dönnebrinks Initiative, die mit dem Verwaltungsvorstand der Stadt abgestimmt ist, ist dabei nicht neu. Schon zu Beginn der gutachterlich unterfütterten Diskussion um die nahe Zukunft des Nahverkehrs hatte Dönnebrink klar Position gegen die Schiene bezogen - und war gescheitert. Gültig ist bis jetzt ein gegenteiliger Grundsatzbeschluss, den SPD und CDU durchgesetzt haben, pro Straßenbahn. Einzig die Linie 110 und 104 stehen zur Disposition, bei der 104 wurde der sanierungsbedürftige und wenig genutzte Flughafenast bereits stillgelegt, was die Aufsichtsbehörde auf den Plan rief. Die erinnerte Mülheim drakonisch an die Betriebspflicht, wogegen sich die Stadt immer noch zur Wehr setzt. Ende offen. Was bei einem vollständigen Ausstieg passiert, ist überhaupt nicht absehbar. Sicher sind Rückzahlungsforderungen der Zuschussgeber, was Dönnebrink aber als lohnende Investition betrachtet. Auf 20 Jahre gerechnet täten selbst 50 Millionen Euro angesichts der gewaltigen Ersparnisse nicht weh.

Politisch ist die Lage unübersichtlich. Die FDP würde den CDU-Kurs mittragen, die Grünen sind strikt dagegen. Und die SPD? Fraktionschef Dieter Wiechering mag die Entscheidung nicht übers Knie brechen. „Das ist eine derart große Nummer“, sagte er, „da müssen wir die Bürger befragen.“ Man könne nicht einzelne Haltestellen in großen Versammlungen diskutieren, eine der folgenschwersten Grundsatzentscheidungen der Nachkriegszeit aber binnen weniger Tage einem Gremium überlassen, in dem sich überdies bislang keine Mehrheit abzeichnet.

Wiechering stellt gar nicht in Abrede, dass das ober- und unterirdische Bahnnetz viel zu groß und zu teuer ist. „Es ist aber nun mal da“, sagte er. Deswegen hält er einen gut vorbereiteten Ratsbürgerentscheid für die sinnvollste Lösung. Dafür müssten Erträge und Kosten eines Ausstiegs exakt berechnet und die Folgen bedacht werden.