Am kommenden Donnerstag soll der Stadtrat entscheiden, ob zusätzlich zu den fünf bereits bestellten Niederflur-Straßenbahnen 18 bis 20 weitere für die MVG angeschafft werden. Es geht für die Stadt, die ohnehin auf die Überschuldung hinsteuert, um eine Investition von 56,7 Mio. Euro. Auf Pump, versteht sich. Anlass genug für den Chef der städtischen Beteiligungsholding, Dr. Hendrik Dönnebrink, noch einmal den Zeigefinger zu erheben. Das System Schiene in Mülheims Nahverkehr hält er auf Dauer für zu kostspielig. Mahnend legt Dönnebrink den Finger in die Wunde: „In vier, fünf Jahren ist auch die U18 sanierungsreif.“ Da seien weitere Millionen aufzubringen für ein System, das Mülheim sich nicht leisten könne – und auch nicht brauche.

Unwirtschaftliche Struktur

Seit Dönnebrink Mitte des vergangenen Jahrzehnts bei der Beteiligungsholding anheuerte, streitet er dafür, die in hohem Maße unwirtschaftliche Nahverkehrsstruktur mit U-Bahn, einem Wirrwarr an Straßenbahn-Systemen und Bussen gesundzuschrumpfen. Schon frühzeitig gab der BHM-Chef Gutachten zur möglichen Optimierung in Auftrag. Aufsehen und heftigen Widerstand bei Bürgern und Politik erregte jenes der Hamburger Gutachter von Civity, das in Szenarien die Stilllegung aller, einiger oder nur einzelner Straßenbahn-Strecken durchexerzierte.

Die Debatte über eine Kappung der Linie 102 am Heuweg in Broich und am Friedhof in Dümpten zeigte Dönnebrink auf, dass eine Radikalkur nicht durchsetzbar war. Und doch konnte er in der Folge zumindest einen Teilerfolg für seine Strategie contra Schieneninfrastruktur einfahren: Es fand sich eine politische Mehrheit für die Stilllegung der Linie 110 und des Flughafen-Astes der 104. Das letzte Wort hat die Bezirksregierung. Ihre Entscheidung zum Flughafen-Ast steht weiter aus.

Jedes Jahr 20 Mio. Euro Defizit

Der politische Grundsatzbeschluss pro Straßenbahn aber steht. Und der, so Dönnebrink, wird teuer: „Wir investieren in der Mittelfristplanung circa 150 Mio. Euro, um in den nächsten 30 Jahren jedes Jahr 20 Mio. Euro mehr Verlust einzufahren als andere Städte, die jene Schienen-Infrastruktur und den ganzen Apparat, der da dranhängt, nicht haben.“ Zwei Drittel des immensen jährlichen Zuschussbedarfes für den Mülheimer Nahverkehr sei einzig und allein bedingt durch den Schienenverkehr, rechnet Dönnebrink vor. In 30 Jahren, die nun die neuen Straßenbahnen rollen sollen, wäre dies ein aufsummiertes Defizit von 600 Mio. Euro. Da kann Dönnebrink die Angst der Politik vor einer möglichen Rückzahlungsverpflichtung für erhaltene Fördermittel bei Stilllegung von Bahnstrecken nicht verstehen. Bei 600 Mio. Euro potenzieller Ersparnis sei selbst eine Rückzahlung von 50 Mio. Euro verkraftbar. „Nach fünf Jahren würde sich eine Umstellung auf Busverkehr refinanziert haben.“

Nun aber steht der Grundsatzbeschluss pro Bahn. Dönnebrink sieht es freilich nur als „folgerichtig“ an, den maroden Fuhrpark der MVG durch die Bestellung neuer Straßenbahnen nahezu komplett auszutauschen. Mit den alten Bahnen, das hatte vergangene Woche noch MVG-Geschäftsführer Klaus-Peter Wandelenus überaus deutlich gesagt, droht in zwei Jahren des Weiter-so der Kollaps. Dabei kündigt sich der nächste Patient, der mit Millionenaufwand aufzupäppeln sein wird, schon an. Absehbar in einigen Jahren steht die erste Grundsanierung der dann 40 Jahre alten U-Bahnstrecke an. Dönnebrink wird nicht müde, dies jetzt, da gerade Abermillionen in die Straßenbahnen gesteckt werden sollen, ins Gedächtnis zu rufen.