Mülheim an der Ruhr. .

Wie ich den Angriff auf meine Heimatstadt Mülheim erlebte

So wie immer, so auch wieder in der Nacht vom 22. zum 23. Juni 1943: um 1 Uhr Fliegeralarm. Die Sirenen heulten in einer Tour und weckten mit einem Schlage tausende von Menschen. Fliegeralarm! – Ja, man begriff es kaum und doch, man stand auf.

Schlaftrunken stehe ich noch vor meinem Bette, als das schallende Lied der Sirene verklang. Dann ging es vorwärts. Ich zog mir schnell meine Sachen an. Kaum hatte ich mir den Schlaf aus den Augen gewischt, als auch schon die ersten Flakwölkchen am Himmel standen. Schnell wurden mit dem Hausluftschutzwart noch Vorbereitungen getroffen: Alle Türen wurden aufgelassen und dann mit dem Luftschutzgepäck ab in den Keller. Die Gasmasken wurden um den Hals gehängt und die Wachen noch mal richtig eingeteilt.

Ich schaute auch noch mal raus, was denn eigentlich los ist. Der Mond schien so hell und die Sterne leuchteten so friedlich. Keiner dachte, dass es in dieser Nacht unserem Heimatort gelten würde. Da, auf einmal. 1, – 2, – 3, – 4, – 7, – 10, zehn rote Leuchtkugeln hingen am Himmel. Das war das Angriffsziel. Schon fielen auch die ersten Bomben. Aber auch unsere Flak blieb nicht stumm. Aber wie lange noch?

Zitternd und bebend saßen wir da

Schnell ein paar Treppen runter – Sekunden vergingen – und wir waren im Keller. Hier angelangt, wurde es ein wenig ruhig. Aber da, was war das? Ein Pfeifen, ein Aufschlag, ein Erbeben und alles war stille. – – – Da, wieder eine, noch eine und noch eine. Quälender Staub der abgesprungenen Wände lag um unser Gesicht. Zitternd und bebend saßen wir da. „Durchbrüche auf!“, hieß es und schon wurde Hacke und Picke geschnappt, und ran. Ein paar Schläge und der Durchbruch lag frei. Da, wieder ein Erschüttern. Alles wackelte. Die Gasmasken wurden aufgesetzt. Langsam wurden wir unruhig, aber der Hausluftschutzwart ermunterte uns durch seine ruhigen Worte.

In Mülheim war die Hölle los. Eine Bombe nach der anderen verließ den Auswurfschacht der feindlichen Maschinen. Eine Bombe nach der anderen schlug aber auch in den Wohnvierteln der Stadt ein. – Brandbomben! – Weit hin waren die Brände der Häuser sichtbar. Dieses nun auch noch dabei? Nein, es durfte nicht sein! Und doch! Brandbomben auf Brandbomben schlugen ringsum ein. Dazwischen wieder die Sprengbomben und Luftminen. Sollte es unser Ende sein? Nein, wir müssen uns retten!

Als es dann eine Weile ruhiger wurde, gingen wir mit ein paar Mann raus. Aber wohin jetzt? Überall brannte es in hellen Flammen. Auch unser Haus hatte jetzt sein Ende. – Wird denn mit dem Elend nicht bald Schluss werden?, dachten wir uns. Überall versuchten wir durchzukommen, aber alles vergebens. Als gegen 1.50 Uhr der Angriff nachließ, versuchten wir wiederum, aus dem Keller zu kommen. Doch auch diesmal wieder vergebens. Aber hier, was ist denn das? Dieser Gang muss freigemacht werden und. . . wir sind gerettet.

Brennend hing das Treppenhaus über dem Flur. Es muss weggeschafft werden, koste es, was es wolle. – „Drei Mann hierhin!“, schrie der Hausluftschutzwart. Dann wurde geschafft. An Löschen war überhaupt kein Gedanke, denn es war kein Wasser vorhanden und was für einen Brandfall bereitgestellt war, ist mit den restlichen Trümmern heruntergestürzt.

Die Stadt lag in hellen Flammen

In den Kellern lag ein schwerer Dunst des Brandes in der Luft. Da, endlich. Ein Schreien und Rufen: „Wir sind gerettet!“ Jeder nahm seine notdürftigsten Sachen und raus. Auf der Straße war es taghell. Die ganze Stadt lag in hellen Flammen. Wir liefen, wie wir nur laufen konnten. Rechts und links der Straße lagen die Trümmer. Brennend stürzten Balken von den Ruinen.

Doch noch einmal musste ich mich umsehen, nach dahin, wo mein früheres Zuhause lag. Dann war es ruhig, nur das Feuer flüsterte seine leise heimliche Melodie. In den Gärten außerhalb des Wohnviertels fanden wir dann endlich Ruhe. – Der Morgen brach an und jeder ging noch einmal nach dahin, wo es ihm früher am liebsten war. . .

Beim Umzug den alten Aufsatz gefunden

Vor einigen Wochen hat Helmut Gohla Umzugskisten gepackt. Und wie das dann so ist, hat er dabei seinen Hausstand durchforstet – und Erstaunliches zutage gefördert: ein Erinnerungsheft aus Jugendtagen, sprich Kriegstagen. Darin der oben abgedruckte Aufsatz, den er kurz nach dem Bombenangriff auf seine Heimatstadt verfasst hatte.

„Ich weiß nicht mehr genau, warum ich den Aufsatz eigentlich geschrieben habe“, sagt der 85-Jährige, „vielleicht war es für die Berufsschule.“ Die jedenfalls besuchte er damals, mit seinen 15 Jahren, und arbeitete später als „Postler“. Er heiratete Clärenore, und sie bekamen sechs Kinder – gute Zeiten!

Ganz anders der 22. Juni 1943, der Tag, auf den die Schreckensnacht folgen sollte. Helmut Gohla weiß noch gut, wie sein drei Jahre älterer Bruder Horst just an diesem Tag zum Arbeitsdienst eingezogen wurde und wie Horst mahnend zur Mutter sagte: „Pass bloß auf, dass Helmut nicht an meine Sachen geht. . .“ Am nächsten Tag war davon nichts mehr übrig, und das hatte rein gar nichts mit Helmut zu tun. Das Elternhaus an der Seilerstraße 4 – ein Mehrfamilienhaus für sechs Parteien – war bei dem Angriff komplett zerstört worden.

Damit war der Krieg für den 15-Jährigen nicht vorbei: Er wurde sogar noch als Soldat eingezogen. Die Erinnerungen an die Front und die Gefangenschaft sind ihm so unerträglich, dass er lieber nicht darüber spricht: „Das sind Dinge, an die ich nicht erinnert werden möchte.“