Inklusion und Integration. Das hört sich irgendwie kompliziert an, ist es aber nicht. Das zeigt ein Besuch in der 1b der Pestalozzi-Schule. 23 Kinder lernen hier mit Andrea Kocks und Roland Prümm ganz spielerisch die Welt der Zahlen und den Unterschied zwischen „Dampfmachern“, „Bewegungsmachern“ und „Bewegungsräubern“ kennen. Auf dem Stundenplan stehen Mathematik und Sachunterricht.

„Ich bin Sonderpädagoge und meine Kollegin ist Grundschullehrerin, aber für die Kinder hier macht das keinen Unterschied. Sie sehen uns nur als zwei Lehrer, die sich gemeinsam um sie kümmern“, erzählt Prümm. „Wir haben in unserer Klasse fünf Kinder mit einem Förderbedarf in den Bereichen Sprache sowie soziale und emotionale Entwicklung“, schildert Kocks die pädagogische Ausgangssituation.

Wer einen schleppenden Unterrichtsverlauf oder Kinder erwartet, die abdriften, weil sie dem Unterricht nicht folgen können, wird positiv überrascht.

Entspannte Atmosphäre

Die Atmosphäre im Klassenraum ist entspannt. Die Kinder sitzen im Kreis oder unternehmen zur Musik von Rondo Veneziano eine Reise nach Jerusalem, bei der die Schüler von einem Klassenkameraden zum nächsten gehen müssen, um sich gegenseitig kleine Rechenaufgaben im Zahlenraum von eins bis zehn zu stellen, die sie von bunten Karten ablesen. So wird der Matheunterricht auch beim Zahlenmemory zu einem Quizspiel.

Alle machen mit und lernen ihre Lektion. Und wenn Prüm oder Kocks sehen, dass ein Kind aus dem Lernkreis auszubrechen droht, gibt es keine Standpauke. Stattdessen verwickeln sie nach dem Vier-Augen-Prinzip arbeitenden Pädagogen die jeweiligen Wackelkandidaten wie zufällig in ein Frage-Antwort-Spiel und holen sie so wieder zurück in den Kreis der Lernenden. Da ist etwa ein Junge, der anfangs noch nicht so recht weiß, ob er in den Kreis der kleinen Rechner überhaupt hinein möchte. Doch als ihn Kocks bittet: „Setz dich doch mal neben mich. Ich möchte heute mal gerne neben dir sitzen“ und ihn aufmunternd kurz in den Arm nimmt, ist der Junge wie ausgewechselt und folgt gespannt dem Zahlenmemory und wird später, man glaubt es kaum, wie selbstverständlich die schwierigste Aufgabenreihe lösen.

Auch bei der Sachgeschichte über Opa Klaus, der aus einem Tag in seiner Kindheit der 50er Jahre berichtet, sind alle Kinder auf der Höhe des Geschehens. Auch die Kinder, die manchmal nach Worten suchen müssen, machen mit beim Karten- und Gesprächsspiel, in dem sie die Unterschiede zwischen ihrem und dem Kinderalltag von Opa Klaus herausarbeiten. Ein Schüler schildert seinen eigenen Tagesablauf. Und in dem die Kinder mit Hilfe von Bildkarten jede Aktivität vom Ballspielen und Fahrradfahren über das Einkaufen bis hin zum Hausaufgabenmachen den Rubriken Dampfmacher, Bewegungsmacher und Bewegungsräuber zuordnen, merken sie schnell, dass Opa Klaus sich in seinen Kindertagen viel mehr bewegt hat als sie selbst. Besonders unglaublich findet es ein Junge, dass der Opa am Tag nur fünf Minuten ferngesehen hat, nämlich dann, wenn abends das Sandmännchen kam. Er selbst hat gestern nach den Hausaufgaben erst mal drei Sendungen geschaut und ist dann draußen fünf Minuten mit dem Fahrrad gefahren. „Und das nächste Mal unterhalten wir uns, wie ihr mehr Bewegungsmacher und weniger Bewegungsräuber in euren Tag bringen könnt“, macht Prümm den Kindern Lust auf den nächsten Sachunterricht.

Doch da steht auch schon Sozialarbeiterin Christina Kükenbrink vor der Tür, um sich „drei Kinder zu klauen.“ Für Melissa 1 und 2 und Cira geht es für 20 Minuten in das gemütliche Lesezimmer. Hier zündet Kükenbrink eine Kerze an, stellt ihnen Kekse hin. Und dann wird einfach drauf los gequasselt. „Denn wir sind hier im Quasselclub“, verrät sie. Die Drei haben viel zu erzählen und werden durch gezielte Fragen zusätzlich angespornt. Die Themen reichen von der Joghurtsuppe, die während der Projektwoche zubereitet wurde über die neuen Zahnspangen bis zu einem neugeborenen Fohlen. „Hier kann man sagen, was einem einfällt, ohne aufzeigen zu müssen und man bekommt auch noch Kekse“, erklärt Melissa. Die Frage, ob es Unterschiede zwischen den Klassenkameraden gebe, versteht sie eigentlich nicht. „Wir sind doch eine Klasse. Wir lernen zusammen und spielen. Besonders gerne Fußball“, sagt sie. Dann fällt ihr doch ein: „Manche brauchen etwas länger und kennen manche Worte nicht. Aber das ist nicht schlimm. Die hören uns dann zu und sprechen die Worte nach.“