Mülheim. Die Hauptschule Dümpten geht seit fünf Jahren einen neuen, ungewöhnlichen Weg. Als einzige Schule in der Stadt. Seit März 2004 kommt Familientherapeut Jörg Lehmann (45) einmal in der Woche für drei Stunden an die Schule.
Schule muss heute vieles leisten, was über das bloße Vermitteln der Lerninhalte hinausgeht. Doch stößt die Pädagogik oft an ihre Grenzen, wenn schulisches Versagen oder eine Verweigerungshaltung des Kindes Gründe hat, die außerhalb der Schule liegen. Die Hauptschule Dümpten geht da schon seit fünf Jahren einen neuen, ungewöhnlichen Weg. Als einzige Schule in der Stadt. Und das mit Erfolg, ist nicht nur Schulleiterin Ulrike Nixdorff überzeugt. 99 Prozent der angesprochenen Familien nehmen das Beratungsangebot an.
Kostenlose Hilfe
Seit März 2004 kommt Jörg Lehmann (45) einmal in der Woche für drei Stunden an die Schule. Er ist kein Lehrer, er ist Familientherapeut und steht den auffällig gewordenen Kindern und ihrer Eltern unentgeltlich zur Verfügung. Nach einer Probephase, in der gestestet wurde, ob das niederschwellige Angebot auch von den Eltern angenommen wird, hat sich das Pilotprojekt inzwischen etabliert. Wenn Kinder in der Schule auffallen und die Gründe dafür in der häuslichen Situation vermutet werden, kann die Beratungslehrerin Ursula Kokott für die betroffene Familie einen Gesprächstermin mit Jörg Lehmann vereinbaren. Das kostet die Familien nichts und hat eine geringere Hemmschwelle als etwa ein Gang zum Jugendamt.
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Im Schnitt nehmen etwa 20 Familien, deren Kind die Hauptschule Dümpten besucht, pro Jahr das Angebot wahr: "Viele Eltern haben oft gar nicht die Gelegenheit, mit jemandem zu sprechen", weiß Lehmann. Der Diplom-Pädagoge, selbst zweifacher Vater, setzt auf Hilfe zur Selbsthilfe. Probleme sind Lösungen in Arbeitskleidung, ist er überzeugt. Viele Eltern merken gar nicht, dass sie die Möglichkeiten zu einer Lösung haben.
Die ganze Familie muss mitarbeiten
Hier hilft Lehmann in einem stress- und leistungsfreien Raum auf die Sprünge. Wann wird gemeinsam gegessen, miteinander gesprochen? Wann gibt es mal Lob und Anerkennung oder wird nur noch genörgelt? Lehmann hilft, verbindliche Pläne und Regeln aufzustellen, an die sich alle halten müssen, und die helfen sollen, den Familienalltag wieder bewusster zu erleben. Wenn Kinder nicht reden können oder wollen, benutzt Lehmann ein Familienbrett, auf dem Figuren aufgestellt werden können sie symbolisieren die aktuelle Familiensituation, die Eltern, den Schüler und andere einflussreiche Personen.
Es gibt immer ein Erstgespräch, wonach die Eltern entscheiden können, ob sie überhaupt weitermachen möchten. Vorher hat ihnen Lehmann erklärt, dass die ganze Familie mitarbeiten muss wenn sich einer verändert, dann verändern sich alle. "Ich bin kein Doktor, der sagt, machen sie dies und das dreimal, dann funktioniert ihr Sohn wieder", betont er. "Vier, fünf Sitzungen seien das statistische Mittel. Es können zwei Treffen reichen, es können auch mal zehn sein", sagt Lehmann.
Die Beratung verpflichtet zu nichts und Jörg Lehmann hat Schweigepflicht. Nur, wenn die Eltern es wünschen, informiert er die Lehrer. Und wenn das Kind in Gefahr sein sollte. Es gibt Schülerinnen und Schüler, auf deren schmalen Schultern gewaltige Lasten liegen können. Womöglich ein brutales Elternhaus oder jüngere Geschwister, die unversorgt bleiben, wenn der oder die Große in die Schule geht. "Wenn es brennt, bekomme ich schnell einen Termin", sagt Schulleiterin Nixdorff. Andere Beratungsstellen wie Schulpsychologen oder Amtsarzt griffen dann ein. Viele, auch total verfahren scheinende Situationen seien aber mit Hilfe von Jörg Lehmanns Beratungsstunden zu lösen. Als Beispiel nennt Nixdorff einen jugendlichen Totalverweiger mit sehr großen Problemen und Eltern, die sich dem nicht stellten. "Nicht zuletzt durch Jörg Lehmann haben wir erreicht, dass er wieder in die Schule kommt und mit uns redet." Das kann schon sehr viel sein. Für den Anfang.