Mülheim. .
Wenn ein Ehepaar mit zwei Kindern 1900 € (inkl. Kindergeld) im Monat hat, die Wohnung plus Strom 1000 € kostet, so ist das, was zum Leben bleibt, nicht üppig. Vor allem, wenn die Erkrankung der Frau extra kostet und der Schuldenberg auf 22 000 € angewachsen ist. Als die Eheleute, der Mann arbeitet Vollzeit, bei Carsten Welp vorsprachen, brachten sie dem Leiter der Awo-Schuldnerberatung schon die Räumungsklage mit.
So etwas erlebt der erfahrene Berater häufig: „Viele bedienen zuerst ihre Verbindlichkeiten, weil sie den Druck, der da gemacht wird, nicht aushalten, und kommen erst dann, wenn etwa der Strom schon abgeklemmt wurde.“ 1282 Schuldner suchten im vergangenen Jahr bei der Awo Rat, insgesamt betrug die Schulden-Summe rund 10,2 Mio €. Im Jahr davor waren es 6,4 Mio €. „Die einzelnen Fälle werden umfangreicher“, sagt Welp. Es geht um mehr Geld und um mehr Gläubiger.
Die Berater versuchen zunächst, die wichtigsten Kosten wie Miete zu sichern, um wieder eine stabile Lebenssituation zu schaffen. Doch nicht nur für Menschen, die Sozialleistungen beziehen, sondern auch für Bürger mit geregeltem Einkommen wird es zunehmend schwieriger, über die Runden zu kommen, das beobachtet die Awo seit Jahren. 87% der Ratsuchenden hatten kein pfändbares Einkommen. „Es steht immer weniger Geld zur Verfügung, das zur Regulierung von Schulden verwendet werden kann“, bilanziert Welp. Auch jene, die erwerbstätig sind, kommen mit dem Einkommen nicht aus: Nur bei einem Drittel war das Einkommen überhaupt pfändbar. (2011: 45%). 15% davon hatten zusätzlich zum Job Unterstützung bei der Sozialagentur beantragt. Für Awo-Geschäftsführer Lothar Fink ein Indiz: „Das Armutsrisiko steigt auch bei denen, die einen Job haben.“ Reicht das Geld nicht, werde der Dispokredit ausgereizt, die Schuldenspirale beginnt. „Wer sich nichts mehr kaufen kann, bestellt oft im Internet“, so Carsten Welp.
Die vierköpfige Familie konnte ihre Wohnung behalten; möglicherweise hilft aber nur noch ein Privatinsolvenzverfahren aus der Schuldenkrise. So wie auch der Seniorin, die nach dem Tod ihres Ehemannes, der immer alles für sie mit geregelt hatte, rund 25 000 € Schulden „erbte“. Bei einer Rente von 900 €. Mit 75 wird sie nun schuldenfrei sein.
Zwischen 30 und 50 Jahren sind die meisten Ratsuchenden, jeder Vierte ist „50plus“. Davon haben 22% eine Rente, jeder Zehnte bezieht ergänzende Sozialleistungen. Altersarmut sehen Schuldnerberater täglich: „Die meisten Rentner haben ein Einkommen von unter 1000 €“, sagt Welp, „da bleibt nicht viel übrig.“ Demnächst wohl noch weniger: „Bei der nächsten Jahresabrechnung wird man die Auswirkungen der Strompreiserhöhung sehen“, schätzt er.