Zur offiziellen Eröffnung der 38. Mülheimer Theatertage gestern im Stadthallen-Foyer bekam das Publikum spürbar zu hören, was die Zeit geschlagen hat. Einen grandiosen Auftritt lieferten „The Drumbassadors“, die beiden Jazzschlagzeuger aus den Niederlanden René Creemers und Wim de Vries, zum Auftakt ab. Und „wenn’s noch einen schlagenden Beweis für dieses Festival geben sollte, dann haben wir den eben gehört“, bescheinigte Kulturstaatssekretär Bernd Neuendorf den Stücken eine Prägnanz, die weit über NRW hinaus strahle. Die Mülheimer Theatertage seien nicht nur Wettbewerb und Diskussionsforum, „sie sind auch ein wichtiger Impulsgeber für Theater und Autoren“. Seit 2010 fördere das Kulturministerium die Kinder-Stücke, deren Relevanz und Akzeptanz deutlich zugenommen habe.
Die internationale Übersetzerwerkstatt und fünf Frauen von acht eingeladenen Autoren, „das ist absoluter Rekord“, sagte Neuendorf: „Die Mülheimer Stücke werden als Forum nationalen und internationalen Texten gerecht.“ Auch Bürgermeister Markus Püll unterstrich mit dem Blick auf die Theaterlandschaft, „wie wichtig wir hier in Mülheim das Theatermachen nehmen – heute und auch in Zukunft“.
Wer das klar gestaltete Mülheimer Stadthallen-Foyer kennt, der fühlte sich gestern kurzfristig wie mitten in eine Demo versetzt: Überall hingen große Transparente mit handgeschriebenen Slogans. „Ist Jedermann eine Milchkuh?“ stand auf einem Banner geschrieben und quer über die Bar spannte sich der Spruch: Es braucht noch ein Musical über Fukushima. Mit falschen Geldscheinen auf dem Boden wurde man durch eine Tür gelockt – dahinter schwebte ein Kinderzimmer-Mobile aus Scheinen. Geld ist eben doch nur Papier. Ein deutlicher Fingerzeig auf das Stück, das nach der Eröffnung folgen sollte: Nis-Momme Stockmanns rund fünfstündige Kapitalismus-Kritik, aufgeführt vom Schauspiel Hannover.
Die Inszenierung der unterschiedlichen Spielorte passend zum Stück gehört zum neuen Gestaltungskonzept der Theatertage. So war es auch am Samstagabend, als der erste Wettbewerbsbeitrag des Festivals im Theater an der Ruhr lief: „Muttersprache Mameloschn“ von Marianna Salzmann.
Warteliste an der Kartenkasse
Rund 200 Besucher fasst der Saal am Raffelberg. Weit mehr wollten das Stück der jungen Autorin Marianna Salzmann (27) in der Aufführung vom Deutschen Theater Berlin sehen. An der Kartenkasse wurde eine Warteliste aufgemacht. Salzmann, erstmals in Mülheim eingeladen, ist eine gefragte Jungautorin, von der bereits fünf Stücke allein in dieser Spielzeit an Bühnen uraufgeführt wurden.
„Muttersprache Mameloschn“ ist eigentlich eine Tautologie, weil Mameloschn das jüdische Wort für Muttersprache ist. In der bittersüßen Komödie wird die Familiengeschichte dreier Frauen aus drei verschiedenen Generationen auf der Folie der jüdischen Vergangenheit erzählt. Es sind Figuren voller Herz, Schmerz und Liebe, die auf der Suche nach Identität mit ihrem aufgestauten Ballast gegen Berge angehen – über Tische, Bänke und Schränke.