Frei von Sorgen war Renate Weber (Name von der Redaktion geändert) auch bis Donnerstag nicht. Nach Donnerstag aber hatte sie eine Sorge, von der sie dachte, sie müsste sie nicht haben: die um ihr Trinkwasser. Genau das hatte die Ratsfraktion der Grünen auch getan. „Muss man um die Gesundheit der Menschen fürchten, die Leitungswasser pur oder als Kaffee oder Tee trinken“, so hatte deren umweltpolitische Sprecher, Dr. Wolf Jürgen Richter, in einer Pressemeldung gefragt. Renate Weber nahm, wie viele andere, die Frage, wörtlich: „Muss man?“
Auch die Rheinisch-Westfälische Wasserwerksgesellschaft hatte die Meldung der Grünen gelesen. Die Zeitungsberichte, die der Reaktion der Grünen zugrunde lagen, hatten das RWW nicht so elektrisiert wie die politisch zugespitzte Frage. Die Überschrift zu der Erklärung, die das RWW dann gestern herausgab, fiel deswegen ungewöhnlich aus: „Ja“, stand da in gefühlten Großbuchstaben, „das Mülheimer Trinkwasser ist bedenkenlos genießbar“. Der Aussage folgen Erklärungen. Sie beziehen sich darauf, dass angeblich hochgiftige Stoffe durch das Messraster fielen, einfach schon, weil nicht nach ihnen gesucht wird und wenn, dann zu unregelmäßig. Dazu heißt es, das in Mülheim entwickelte und praktizierte Aufbereitungsverfahren für Trinkwasser „hält Giftstoffe wie Pflanzenschutzmittel sicher zurück“. Und die unbekannten Stoffe? Immerhin gibt es unzählige chemische Verbindungen. Nur etwa 140 Stoffe sucht das RWW direkt. Auch das ist kein Problem, betont Technikchef Dr. Christoph Donner. Die Messreihen deckten Stoffeigenschaften ab, das Wasser wird quasi auf Giftigkeit geprüft. Selbst wenn ein Stoff nicht in der Analyse enthalten sei - an seiner Wirkung würde er sich verraten. Und: Die Messtechnik sei derart sensibel, dass selbst solche Konzentrationen aufgespürt werden, die „keine gesundheitliche Relevanz haben.“
In diesem Tenor äußert sich auch Dr. Dieter Weber. Der stellvertretende Leiter des Gesundheitsamts hat ebenfalls Anrufe besorgter Mülheimer erhalten und auch seine Antwort auf die Frage, ob er Trinkwasser zu sich nehmen würde, fällt schlicht aus: „Ja.“ Natürlich weiß Weber um die komplexe Materie, die sich hinter der Silbe verbirgt, von Höchst-, Maßnahme- und Grenzwerten, von unterschiedlichen Grenzwerten für denselben Stoff in unterschiedlicher Umgebung - und dem weiten Weg, der von dahin bis zur Gesundheitsgefährdung liegt. Noch im Februar hatte Weber das auf Anfrage der FDP im Umweltausschuss dargelegt. Auch damals hieß es: „Meldungen über Biozid-Belastungen der Ruhr liegen der Stadt nicht vor.“
Also, alles in Ordnung? Nicht ganz. Sowohl das RWW als auch Weber weisen daraufhin, dass der beste Weg zu gutem Trinkwasser nicht darain besteht, es mühsam von Giften zu befreien, sondern diese Gifte erst gar nicht einzuleiten. Dem RWW ist es daher gar nicht so unlieb, dass das Gefährdungspotenzial von Bioziden jetzt ins Blickfeld der Öffentlichkeit gerät; es könnte dazu beitragen, das Verursacherprinzip „konsequent durchzusetzen.“
An der Stelle treffen sich sogar Unternehmen, Arzt und Grüne wieder. Seiner Partei gehe es nicht darum, Ängste zu schüren, sondern „die richtigen politischen Fragen zu stellen“, sagte Fraktionsgeschäftsführer Jürgen Pastowski. Der trinkt übrigens jeden Tag zwei Liter Trinkwasser. Immer noch?
„Ja.“