Abiturprüfung mit Applaus - das gibt es eigentlich nicht. Aber bei Aris Alexander Blettenberg ist das anders.: Der 18-Jährige ist ein vielversprechendes musikalisches Nachwuchstalent - und seine Abiturprüfung am Otto-Pankok-Gymnasium war ein Konzert - natürlich vor Publikum. Schon als Sextaner begann er zu komponieren, als Pianist und Mandolinen-Spieler hat er bereits diverse „Jugend musiziert“-Wettbewerbe gewonnen und im letzten Jahr kam schließlich auch noch der Ruhrpreis dazu. „Wunderkind“ - so sagen manche. Aber dieser Bezeichnung steht der Abiturient sehr kritisch gegenüber: Ich bin nichts Besonderes. Aber gerade diese Bodenständigkeit ist eben auch etwas, was ihn von anderen jungen Talenten abhebt. Deswegen hat die NRZ Aris schon seit längerer Zeit auf seinem Weg begleitet. Jetzt steht der 18-Jährige wieder vor einem Wendepunkt. Die Schule ist vorbei - wie soll es weitergehen?

Vor so einer Frage stand schon einmal ein junger Mann aus Mülheim, auch er war ein großes Talent und er hat sogar an der selben Schule wie Aris Abitur gemacht: August Bungert. Allerdings kehrte dieser schon mit 16 Jahren seiner Heimatstadt den Rücken. Und kam auch später nur noch gelegentlich zu Besuchen bei der Familie zurück. Die Orte, an denen er fortan verkehrte, standen für die große weite Welt - zumal damals, wo im ausgehenden 19. Jahrhundert vom globalen Dorf noch keine Rede sein konnte. Bungert lebte in Paris, später in Italien hieß sein Nachbar Friedrich Nietzsche. Ein Vorbild - ist er einer, der es geschafft hat?

Ruhmsucht und Habgier - das sind zwei Eigenschaften, die im Kunstbetrieb ein große Rolle spielen. Und zwar zu jeder Zeit. Dieses Geschäft ist irre, sagt Aris - und er weiß wovon er redet. Ich habe von Anfang an viel beobachtet. Gerade auch die Gleichaltrigen. Die spezialisieren sich sehr früh auf nur eine Sache. Von mir aus Violine. Und dann üben sie. Und üben heißt eigentlich: Sie lernen so zu spielen, wie ihr Professor spielt. Das ist handwerklich gut. Aber es fehlt etwas. Und was dieses etwas ist - ja, das wird deutlich, wenn es fehlt, obwohl es dann am meisten gebraucht würde: dann wenn der große Erfolg ausbleibt. Am Anfang bekommen die Nachwuchstalente natürlich sehr viel öffentliche Aufmerksamkeit. Sie gelten eben als ,Wunderkind’. Doch irgendwann ist man kein Kind mehr und wenn der wirklich große Erfolg ausbleibt, was bleibt dann übrig? Sie haben gelernt, ein Spielroboter zu sein. Aber sie sind keine Musikerpersönlichkeit.

Aris hat sich über diese Fragen viele Gedanken gemacht - gerade auch vor seiner Abiturprüfung: Hatte er doch ganz bewusst dafür Werke von August Bungert ausgesucht. Die erste interessante Erfahrung war: Es war gar nicht so leicht an Noten heranzukommen. Da musste man über Antiquariate gehen. Eine bezeichnende Entwicklung, stand doch im ersten Satz der ersten Biografie, die über Bungert ein Jahr nach seinem Tod erschienen war, immerhin: „Er gehört zu den bedeutendsten Tondichtern unserer Zeit.“ Zugegeben, das Werk stammte von einem Anhänger. Aber trotzdem: Was ist geblieben? Wirklich mehr als eine Fußnote in der Musikgeschichte?

Bungert hatte Ambitionen. Er hat über die griechischen Mythen einen Zyklus geschrieben, der dem vergleichbar sein sollte, was Richard Wagner mit dem germanischen Sagenstoff gemacht hat, weiß Aris. Ja, in Bad Godesberg sollte sogar eine Art Bungert’sches Bayreuth entstehen. Es gab auch einen Bungert-Bund: Aber Bungerianer - im Gegensatz zu den Anhängern des Meisters vom „Grünen Hügel“ sind ausgestorben.

Der Erfolg ist also eine wechselhafte, und vor allem zeitabhängige Sache. Das hat Aris gelernt. Ich will aber unabhängig sein von diesem irren Betrieb, sagt er. Und die Ruhe, die Gelassenheit, die er dabei ausstrahlt, scheinen zu unterstreichen, dass er diese Unabhängigkeit tatsächlich gefunden hat. Ich habe meine eigenen Ideale. Und von denen leite ich meine Ansprüche ab. Es geht mir um die Musik. Nicht darum, ob ich berühmt werde. Und dann sagt er noch etwas: Meine Beziehung zur Musik ist etwas, was mir keiner nehmen kann. Das was ich erlebe, wenn ich spiele, das kann ich nur schwer in Worten ausdrücken. So richtig verstehen das eigentlich nur andere Musiker. Aber in der Musik erfahre ich Wahrheiten. Und die sind ewig gültig. Über sich, die Welt und die anderen. Aber ist so eine Wahrheit nicht auch, dass man neben allem Idealismus auch irgendwie von etwas leben muss.

Dass August Bungert seinen Lebensabend in einer Villa im Rheinländischen verbringen konnte, verdankte er seiner Mäzenatin: der rumänischen Königin Elisabeth, die unter dem Künstlernamen „Carmen Sylva“ auch Gedichte veröffentlichte, die Bungert dann vertonte. Hofft Aris auch auf solche Förderung?

Der 18-Jährige lächelt. Er sieht beides nicht im Gegensatz zueinander. Die innerliche Stabilität ist für ihn die Voraussetzung , um überhaupt öffentlich wirken zu können. So lange er diese Wirksamkeit hat, so ist Aris überzeugt, wird er auch sein Publikum finden: Für mich sind immer die ersten fünf, zehn Sekunden nach dem Stück wichtig. Dann herrscht eine ganz eindrucksvolle Stille. In mir klingt dann auch die Musik immer noch nach. Wenn das gelingt, dann ist es gut. Nach einer Pause ergänzt her: Ich weiß, dass ich großes Glück hatte, meine Persönlichkeit so zu entwickeln. Zuerst, dass ich überhaupt gemerkt habe, dass ich diese Leidenschaft für Musik habe. Und dann, dass ich den Freiraum hatte, so wie ich will, dieser Leidenschaft nachgehen zu können. Daraus entsteht auch eine Verpflichtung. Ich will jetzt etwas zurückgeben.

Nicht zuletzt Mülheim. Zurzeit plant Aris die Gründung einer August-Bungert-Gesellschaft. 2015 wäre der 100. Todestag. Dann wird der 18-Jährige schon einige Semester an der Münchner Musik-Hochschule studieren. Aber anders als Bungert, wird er öfter zu Besuch sein. das ist für ihn klar. Denn auch hier ist sein Publikum.