Um 714 Mülheimer kümmert sich statistisch gesehen ein Arzt. Für 600 steht ein Feuerwehrmann parat, auf 380 Mülheimer kommt ein Polizist. Doch nur 216 Bürger müssen sich - na, was glauben Sie - um einen Glücksspielautomat balgen. Ein Spitzenwert, liegt der Durchschnitt in NRW doch bei 400 Einwohnern pro Spielgerät. Die geplante Gesetzesänderung von Wirtschaftsminister Philipp Rösler (die NRZ berichtete) scheint daher auf den ersten Blick ein Schritt in die richtige Richtung zu sein, geht es dabei doch vornehmlich um die Einschränkung der Automatenauswüchse und die Bekämpfung der Spielsuchtproblematik.

Doch das geht vielen Mülheimer Stellen, die direkt oder indirekt mit dem Thema Glücksspiel in Verbindung stehen, nicht weit genug: So beschreibt Ilona Füchtenschnieder von der Landeskoordinierungsstelle Glücksspielsucht NRW das geplante Vorhaben als ein „typisches FDP-Gesetz“: „Der Nutzen erschließt sich mir nicht, denn das Gesetz führt einfach nicht weit genug. Stattdessen soll es weiter viele Ausnahmen geben und zahlreiche Nebelkerzen.“ Die gibt es schon seit der letzten Glücksspielautomatenreform vor einigen Jahren: Mit nur bedingtem Erfolg: Die Zahl der Spielgeräte steigt in Mülheim kontinuierlich, ebenso die Konzessionen für Spielhallen (siehe Grafik). Die Pädagogin weist zudem darauf hin, dass sich die zentralen Punkte des Gesetzesentwurfs fast gänzlich auf die Spielautomaten in Gastronomiebetrieben bezögen. „Das ist kein Fortschritt“, so Füchtenschnieder weiter.

Ähnlich sieht es Alfred Abresch, Leiter des Ambulatoriums, der Suchtberatungsstelle der Diakonie: „Die Gaststätten sind nur der Einstieg.“ Die Spielsüchtigen aber fänden sich in den Automatencasinos, so Abresch weiter. Auch bei ihm stößt das geplante Glücksspielgesetz eher auf Ablehnung. Denn: „Es sind nur kleine Ansätze für ein viel größeres Problem: das Schlimmste an der Glücksspielsucht nämlich ist die hohe Dunkelziffer.“ Weit mehr als die 20 Patienten, die sich jedes Jahr in die Beratungsstellen des Ambulatoriums einfinden, nämlich sind erkrankt. Große Automatencasinos, 26 an der Zahl in Mülheim, treiben die Menschen in die Sucht, führten allein 2012 zu Verlusten in Höhe von fast 14 Millionen Euro.

Aus der Dunkelziffer heraus traute sich Karsten Verl. Früher spielsüchtig, heute Leiter einer Selbsthilfegruppe, in der sich 12-15 ehemalige Spieler regelmäßig treffen und sich von ihrer Sucht losreißen wollen: „Ich begrüße alles, was die Spielsucht eindämmen soll“, stellt Verl direkt zu Beginn klar. Doch: „Die personenbezogene Spielerkarte hat die Spielsucht in Norwegen um 50 Prozent reduziert.“ Das sei ein Ansatzpunkt, den die Politik hätte aufgreifen und auf die Spielcasinos beziehen müssen. Dann nämlich muss ein Spieler sich ausweisen und kann nur noch ein festgelegtes Budget im Monat verspielen. Das neue Gesetz ändere daran nichts. Und kann vor allem eines nicht verhindern. Verl:„Die Anzahl der neuen Konzessionen hat in den letzten Jahren noch einmal deutlich zugenommen, das kann ja nun nicht rückgängig gemacht werden. Dort werden sich viele noch eine goldene Nase verdienen.“ Außerdem sei eine andere Herangehensweise deutlich wichtiger, so Verl weiter, wolle man der Glücksspielsucht Einhalt gebieten: Die Prävention. „Dort müssen die vorwiegend jungen Menschen vor einer Gefährdung geschützt werden.“

In Kneipen kaum noch Relevanz

Vorschläge also, die sich in erster Linie auf die großen Kasinos abzielen, nicht aber die Spielautomaten in Gaststätten im Fokus haben. Warum sich kaum einer an diesen stört, erklärt Thomas Kolaric, Bezirksgeschäftsführer des Hotel- und Gaststättenverbandes und zuständig für Mülheim: „Vor zwanzig Jahren waren Geldspielautomaten noch wirtschaftlich relevant. Heute hat sich das Aufkommen drastisch gemindert, sie sind unwichtiger geworden.“ Früher hätten Wirte noch eine ganze Monatspacht an Gewinnen durch Automaten generieren können, heute spielen die Gäste nur noch wenn sie warten, auf den Rest der Kneipenrunde etwa, so Kolaric weiter: „Höchstens ein Drittel einer Pacht, und nur dort wo früh getrunken und gespielt wird“, sei so noch zu erwirtschaften.

Mehr Geld mit den Automaten macht hingegen die Stadt. Durch die Vergnügungssteuer kamen 2012 stolze 2 093 510 Euro allein durch Glücksspielgeräte in die klammen Kassen. Dementsprechend glücklich ist auch Ordnungsamtsleiter Bernd Otto über die neue Gesetzgebung. Denn sie macht vor allem das Kontrollieren einfacher. „Unser bester Kontrolleur war immer die Konkurrenz. Gerade im Spielrecht ist einiges im Argen. Aufgrund der hohen Gewinnmöglichkeiten muss daher verstärkt kontrolliert werden.“ Diese Überwachung kann sich künftig also auf die großen Casinobetriebe beschränken, sollte das rigorose Vorhaben, ein Gerät pro Gaststätte, durchgesetzt werden. „Der Gesetzgeber ist nun endlich Dingen nachgegangen, auf die wir seit Langem hingewiesen haben. Ob der genauen Umsetzung muss später diskutiert werden.“