Versuchskaninchen sind die Zwölftklässler an den Mülheimer Gymnasien nur unfreiwillig geworden; gefragt wurden sie nicht. Zeitgleich mit allen 13er-Jahrgängen machen sie Abitur. Das G8 war in der Theorie stark umstritten. Doch Theorie und Praxis weichen bekanntlich oft voneinander ab.

G8Torsten Beekes, 18, gehört landesweit zu den ersten Schülern, die von der Bildungsreform betroffen sind – oder von ihr profitieren. Hier spalten sich die Geister. Ob er sich wie eine Art Versuchskaninchen fühlt?

Beekes sagt Ja. Trotzdem sieht er sich „nicht als ein Opfer“ der Bildungsreform. Im Gegenteil: Er sieht das im Volksmund oft als „Turboabi“ verschriene G8 als Vorteil an: „Wir sind ein Jahr früher auf dem Arbeitsmarkt. Außerdem: Je jünger man ist, desto besser lernt man.“

Lernfähigere Studenten, weil sie im Durchschnitt ein Jahr jünger sind, als die abgeschafften 13-Jahre-die-Schulbank-drückenden-Mitschüler? „Wahrscheinlich wird einigen von uns noch die Reife fehlen, wenn sie an die Uni kommen“, sagt Beekes – angesichts des Umstandes, dass die jüngsten Studenten vielleicht nicht einmal die Volljährigkeit erreicht haben, wenn sie das Abi machen.

Kopfschmerzen wegen des zu großen Stresses? Bei Beekes Fehlanzeige. Sein längster Tag geht bis 17 Uhr. Er habe 36 Schulstunden pro Woche. Damit fühle er sich nicht überfordert. Zeit für andere Tätigkeiten bleibe auch.

Es ist klar, Beekes sieht sich als Profiteur der Reform: Er beginnt bei Siemens ein duales Studium.

G9Neben ihm sitzt Nele Sassmann, 19. Sie gehört der letzten Generation von Schülern an, die 13 Jahre lang die Luisenschule besuchten.

Trotzdem sei sie froh, dass sie jetzt erst das Abitur mache. „Ich weiß noch nicht, was ich nach dem Abi anfange“, so Sassmann. Ein altbekanntes Problem der Schulabgänger. „Ich werde ein halbes Jahr nach Afrika gehen – Brunnen bauen“, berichtet die 19-Jährige schmunzelnd über ihre Lösung des Problems. „Mit 18 Jahren hätte ich noch weniger gewusst, was ich nach dem Abi machen soll“, sagt sie – die Flucht ins Ausland ist für sie aber nicht allein dieser Unsicherheit geschuldet: „Die hohen NCs sind ein großes Problem. Erst hieß es, es würde alles klappen und jeder würde einen Studienplatz bekommen. Jetzt bist du mit einem gutem 2er-Schnitt schon schlecht dabei“, so Sassmann. Sie spricht damit vielen Mitschülern aus dem Herzen. „Die G8-Schüler ziehen mehr an als wir“, meint die Schülerin, die 33 Stunden in der Woche in der Schule verbringt. Die Aufgaben hielten sich im Rahmen.

Das gilt auch für die Anzahl von Studienplätzen.