Mit einem scharfen Blick auf die Verhältnisse und einem großen Herzen für die kleinen Leute hat Heinrich Zille das Berliner „Milljöh“ des späten 19. Jahrhunderts liebevoll illustriert. In einem der Hinterhöfe ist jede Menge los, da spielt sich das Leben zwischen schiefen Hauswänden ab. Man ist draußen, guckt, quatscht und wartet im sonst so repräsentativen Kaiserreich auf bessere Zeiten. Wäsche baumelt an der Leine zwischen Plumpsklo mit offener Tür und um den Brunnen tobt eine Horde Kinder, dazwischen liegen zwei Blagen am Boden und balgen sich. Dabei zeigt das Mädchen einen tiefen Schlüpfer-Blitzer, denn zu dieser Zeit waren die Unterhosen offen im Schritt.

Derb-deftig, zuweilen amüsant und zärtlich und manchmal bitterböse hat Heinrich Zille (1858 - 1929) ein Bild von Berlin gezeichnet, wo die Stadt zur Kulisse wird, wo sich die Dramen des Alltags, Armut, Not und Elend, aber auch pralle Lebenslust vor und hinter den Türen abspielen. Als sozialkritischer Künstler war Heinrich Zille in der militärisch geprägten Wilhelminischen Epoche „als Rinnstein- und Abort-Künstler verfemt“, sagt Museumsleiterin Dr. Beate Reese: „Aber die Menschen liebten ihn.“

Tisch und Bett geteilt

Mit dem Bau immer neuer Fabriken strömten die Arbeitskräfte vom Land in die Städte, kamen bei Familien auf kleinstem Raum unter, mit denen sie sich nicht nur den Tisch, sondern teils sogar das Bett teilen mussten. Wohnungsnot und Städtebau waren ein großes Thema. „So entstanden Mietskasernen mit vier, fünf Innenhöfen“, weiß Dr. Gerhard Ribbrock: „Die Innenhöfe wurden nicht nach dem Luftbedarf der Menschen, sondern nach dem Wendekreis der Feuerwehr gebaut.“ Der stellvertretende Museumsleiter ist ein ausgemachter Zille-Experte. Und Mülheim steht im Ruf, nach Berlin nicht nur über die größte, sondern über eine herausragende Zille-Sammlung zu verfügen. Möglich gemacht hat das der Arzt Dr. Karl G. Themel, der mit einem Sohn von Zille befreundet war, eine große Kennerschaft entwickelte und die Sammlung mit nach Mülheim brachte.

Unter dem städtebaulichen Aspekt steht auch die Ausstellung mit Zeichnungen, Grafiken und Fotografien aus der Sammlung Themel, die aktuell im Kunstmuseum zu sehen ist. Daran wirkten die „Young Experts“, Schülerinnen der Karl-Ziegler-Schule, des Gymnasiums Broich und der Realschule Broich, maßgeblich mit. So bildet die kleine, aber feine Präsentation im Grafikraum die Brücke zur nächsten großen Ausstellung „Schauplatz Stadt“ im März im Kunstmuseum.