Es gab schon schönere Zeiten für Schulleiter als die ersten Tage des Jahres 2013. Erst verhieß die Neuregelung für Klassenfahrten atmosphärisch wenig Gutes (Mehr dazu auf Seite 6), dann traf auch noch am 15. Januar ein Schreiben der Stadt Mülheim ein mit dem weit konflikträchtigeren Titel „Brandschutz in allen Mülheimer Schulen“. Das nüchterne Aktenzeichen „IS - OC1“ lässt das Ausmaß der Auswirkungen kaum erahnen. In Wirklichkeit aber, „wird unsere Schule jetzt ungemütlicher“, sagte eine Schulleiterin, die aber lieber nichts gesagt haben will. Der Zwang, Kinderbilder aus Grundschulen und Abikunst aus den Gymnasien zu entfernen und an feuchten Wintertagen mit Kindern und klammen Jacken in renovierungsbedürftigen Klassen zu hocken, missfällt schon auf den ersten Blick. Gegen Brandschutz aber lässt sich ernsthaft nicht öffentlich argumentieren.

Oder doch? Die Fragen, die sich aufdrängen, im einzelnen.

Warum kommt dieser drastische Schritt so plötzlich?

Weil der Stadt die Zeit davonläuft. Wegen der Versäumnisse der Vergangenheit muss Mülheim ein ambitioniertes Sanierungsprogramm fahren, wenn man vermeiden will, dass die Bauaufsicht Schulen ganz oder teilweise schließt. Gerade alten Gebäuden fehlt es an Brandschutz, wie er aktuell verlangt wird; Türen, zweiten Fluchtwegen, schwer entflammbaren Kabeln. Drei Jahre kalkulieren die Fachämter für die Sanierung ein. Bis dahin will man aber alles getan haben, was man tun konnte. Und das einfachste ist: Flure räumen.

Ist das alles, was in der Wartezeit auf den Bautrupp passiert?

Keinswegs. In einem ersten Schritt hat der ImmobilienService schon begonnen, Fenster auszutauschen, die sich nicht öffnen ließen und Podeste anzubauen; also: Fluchtwege zu schaffen.

Der Zustand in den Schulen ist also nicht überall gleich, manche sind sogar flatschneu. Warum trifft jetzt alle der Bannstrahl?

Aus zwei Gründen. Erstens: Regelungen mit Kann- und Ausnahmebestimmungen sind noch schwerer umsetzbar und bieten Interpretationsspielraum. „Wir wollten klare Kante“, so nennt das Immobilienchef Buchwald. Zweitens: Die beteiligten Ämter arbeiten das Brandschutzprogramm zwar unter Hochdruck ab, gleichwohl fehlt es an Personal, um zu leisten, was am Ende Ziel sein soll: Entscheidungen im Einzelfall, Schule für Schule, Flur für Flur, Garderobe für Garderobe.

Ist das nicht ein Fall typisch übertriebener deutscher Gründlichkeit?

Nicht unbedingt. Das Problem war ja, dass die Überprüfung des Brandschutzes eben nicht systematisch und damit bequem gestreckt erfolgt ist. Jetzt muss die Stadt baulich einmal Grund reinbekommen und dann einen leistbaren Kontrollrhythmus installieren, etwa alle sechs Jahre. Die jetzige Eile ist sozusagen eine Art Premierenfieber.

Gibt es tatsächlich Vorschriften, die Kinderbilder in Fluren verbieten?

Natürlich nicht. Deutlich ist die Landesbauordnung nur bei allem, was zum Baustoff wird, also mit dem Gebäude gleichsam verwachsen ist. Zum ‘Mobiliar’ sucht man einschlägige Paragrafen vergebens.

Warum ist das so?

Weil in den Vorschriften mehr gesunder Menschenverstand drinsteckt, als man glauben sollte. Ein Brandschutzexperte beschreibt das so: Rettungswege sind von Brennbarem freizuhalten, Papier kann brennen, also muss Papier raus. Eigentlich. Papier ist aber nicht gleich Papier. Tapeten beispielsweise brennen nicht, wenn sie erst einmal an de Wand kleben. Den Stoff Papier zu verbieten, ergibt also keinen Sinn. Es kommt auf den Einzelfall an. Ein breiter Flur verträgt womöglich verteilt viele Kinderbilder. 60 Stück konzentriert auf einer Stelle können selbst dann ein Problem sein. Der Rat des Fachmanns: „Die Streicholzprobe. Zünden Sie das, was da im Raum ist, gedanklich an, und überlegen Sie, was im schlimmsten Fall passiert.“ Bei manchen meterlangen schwarzen Brettern mit Wagenladungen an Zettel muss man da vielleicht auch künftig nicht lange überlegen.

Aber Kinderbilder abzuhängen musste dann doch nicht wirklich sein, oder?

Darüber gingen auch in der verwaltungsinternen Arbeitskommission die Ansichten auseinander. Von der Sache her war es wohl nicht zwingend. Durchgesetzt aber hat sich die behördliche Wirklichkeit. Hätte man das ins Belieben der Schulen gestellt, wären die Ämter gezwungen gewesen, nachzuschauen, wo Bilder bleiben können. Diese Zeit fehlte.

Und mit mehr Zeit?

Vorbedingung für alle angestrebten individuellen Regelungen mit den Schulen ist zunächst, dass der bauliche Brandschutz stimmt, Brandschutztüren, Fluchtwege, etc, aber auch Brandmeldeanlagen. Die sind zwar nicht Pflicht, dennoch hatten Verwaltung und Politik im Vorjahr entschlossen, sie, wo es geht, einzubauen. „Eine Brandmeldanlage eröffnet neue Möglichkeiten der Bewertung“, so formuliert das die verwaltungsintere Arbeitskommission. Heißt auch; da, wo der Brandschutz stimmt, etwa in den neu hergerichteten Schulen, dauert der Spuk nicht lange. Die Einhaltung des Brandschutzes muss halt nur festgestellt werden - und danach der gesunde Menschenverstand durch die Schule schweifen (siehe oben). Gefahrenpunkte würden auch in neuen Schulen nicht toleriert, die Grenzen sind halt nur weiter gesteckt. Woanders könnte man womöglich zu Übergangslösungen kommen, Kinderbildern unter Glas etwa oder Metallspinden für Jacken

Wie geht es jetzt weiter?

Feuerwehr und Bauämter vereinbaren gerade Termine mit allen 48 Schulleitungen, die im Übrigen schon im August allgemein und Anfang Dezember recht konkret über das Brandschutzproblem informiert wurden. Bis Ende Februar will man alles geschafft haben. Bis zu den Einzelgesprächen aber bleibt es bei „Alles muss raus“.

Und wenn dafür nicht alle Verständnis haben?

Das ist bereits jetzt der Fall. Aus manchen Informationen, die Schulleitungen an Eltern gegeben haben, springt einen das Unverständnis geradezu an. Genau das muss sich die Stadtverwaltung aber ankreiden lassen: Wie schon im Dezember, als Schulleitungen und Öffentlichkeit am selben Tag über das Mammutprogramm informiert wurden, hätte auch diesmal breite Kommunikation hergestellt werden müssen - aus eigenem Antrieb.

Aber dieses Problem hat die Stadt ja nicht nur bei Schulfragen.