Das Jahresende naht, und die Telefonseelsorge rüstet sich für einen Tag, eine Nacht, an dem besonders viele Menschen eine tiefe Krise erfasst. Stärker noch als zu Weihnachten, weiß Olaf Meier (55), der die Telefonseelsorge Duisburg/Mülheim/Oberhausen leitet. Zu Silvester kommen erfahrungsgemäß mehr Anrufe an als zu Weihnachten. Denn – „wenn es einen Tag gibt, an dem man sozial eingebettet ist, so ist das der Heiligabend“, sagt Olaf Meier.
Aber zum Jahresende sei das anders, so der Theologe, der zugleich Psychologe ist. Silvester sind die Menschen mit Freunden zusammen und feiern – und wenn das fehlt? „Dann haben wir Anrufer, denen die Decke auf den Kopf fällt, weil sie Rückblick halten auf ein krisenreiches Jahr und skeptisch in die Zukunft schauen.“
Schon lange vor den Feiertagen gab es Anrufer, die wissen wollten, ob denn auch jemand da sei. „Es ist immer jemand hier“, betont Olaf Meier. Denn Tag und Nacht, rund um die Uhr ist die Telefonseelsorge besetzt, von einem der 120 gut ausgebildeten Ehrenamtler, die sich im Schichtdienst alle vier Stunden abwechseln. Von 14 bis 2 Uhr sind es immer zwei Telefone, die man unter 0800-111 0 111 oder 0800-111 0 222 erreicht. Auch an Silvester und Neujahr, wenn viele Menschen eine schmerzliche private Jahresbilanz ziehen, wenn Rück- und Ausblick hoffnungslos ausfallen und Zweifel über den Sinn des Lebens aufkommen.
Doch der Jahreswechsel bringt für die ehrenamtlichen Mitarbeiter am Telefon auch so manchen positiven Anruf: „Viele Leute wünschen uns einen guten Rutsch, und einige wollen einfach mal danke sagen“, weiß Olaf Meier. Weil jemand Zeit hatte für sie, ihnen zugehört hat in einer kritischen Phase ihres Lebens. „Wir können die Situation ja nicht verändern“, so der Theologe. „Aber wir können sie mittragen und Respekt zeigen. Manchmal ist es wichtig, dass jemand etwas aushält und begleitet.“ Die meisten Anrufer meldeten sich zwischen 18 und 24 Uhr. Die Gespräche können oft eine halbe Stunde und länger dauern.
Die Männer und Frauen der Telefonseelsorge bleiben anonym, melden sich neutral mit „Telefonseelsorge, guten Tag“. Auch der Anrufer kann sicher sein, dass seine Rufnummer nicht auf dem Display erscheint. „Wir wollen“, sagt Olaf Meier, „das Gespräch von Mensch zu Mensch, ohne Ansehen der Person. Keiner muss Angst haben, sein Gesicht zu verlieren.“
Die Mitarbeiter am Telefon hören zu – „und nur Zuzuhören, das ist ganz schön schwer“, weiß Olaf Meier. Jeden Monat gibt es eine Supervision für die Ehrenamtlichen, die auch jederzeit mit dem Psychologen reden können. Es gibt besonders belastende Gespräche, nach denen sich die Ehrenamtlichen selbst aussprechen müssen, aber das sei sehr selten. Wie man am Telefon reagiert, wenn jemand in der Leitung ist, der sich das Leben nehmen will, wird auch in der Ausbildung thematisiert. Im Schnitt, so schätzt Olaf Meier, ruft etwa jeden zweiten Tag ein Mensch an „der sich das überlegt“.
Viel häufiger melden sich einsame Menschen. Anrufer, die am Abend mitteilen: „Ich habe heute noch mit niemandem gesprochen.“ Menschen, die mit einem anderen einfach mal über ihren Tag reden wollen, weil sonst keiner da ist, der ihnen zuhört. „Das werden“, so Olaf Meier, „immer mehr.“
Seit 16 Jahren leitet er die Telefonseelsorge. Was hat sich in dieser Zeit am meisten verändert bei denen, die das Gespräch suchten? „Die seelische Auswirkung wirtschaftlicher Not“, sagt Meier. „Das war vor 16 Jahren längst nicht so.“
Mitarbeiter aus Mülheim gesucht
Die Telefonseelsorge sucht noch ehrenamtliche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen aus Mülheim. Die derzeit 120 Telefonseelsorger im Alter von 40 bis 75 Jahren kümmern sich um Anrufer aus Duisburg, Oberhausen oder Mülheim. Etwa die Hälfte der ehrenamtlichen Mitarbeiter ist berufstätig.
Pro Tag erreichen die Telefonseelsorge, die es seit 38 Jahren gibt, etwa 60 Anrufe, im Jahr sind es ca. 22 000. Die Dienststelle, eine ökumenische Einrichtung, die von beiden Kirchen finanziert wird, liegt in der Duisburger Innenstadt. Ehrenamtler übernehmen jeweils drei Dienste monatlich zu je vier Stunden, davon einen Nachtdienst.
„Es ist ein anspruchsvolles Ehrenamt“, betont Leiter Olaf Meier. „Man muss belastbar sein und einfühlsam.“ Mit Sprache müsse man umgehen könne, mit nicht ganz einfachen Menschen auch.
Man hat eine hohe Eigenverantwortung. Und es ist von Vorteil, wenn man über eine gewisse Lebens- und Krisenerfahrung verfügt. „Aber das Wichtigste ist die Herzensbildung“, ist Olaf Meier überzeugt, „die Mitarbeiter brauchen ein großes Herz.“ Dass man mit der Aufgabe mit der Zeit persönlich gewachsen sei, hört der Leiter der Telefonseelsorge oft. Er hat Mitarbeiter, die schon seit 30 Jahren mit Überzeugung dabei sind.
Ein neuer, etwa ein Jahr dauernder Ausbildungskurs für künftige Ehrenamtler beginnt im Frühjahr 2013. Ein Infoabend hierzu findet am Donnerstag, 10. Januar, um 19 Uhr im Haus der Ev. Kirche, Duisburg-Mitte, Am Burgacker 14-16 statt. Weitere Infos unter Tel. 0203/22657 oder im Internet: www.telefonseelsorge-muelheim.de.