Mülheim-Holthausen.

Hauptfriedhof, morgens um zehn: Jochen Jeske, ganz in Schwarz, hat eine Beerdigung. Doch er muss keinen Verwandten betrauern, sondern trägt dazu bei, den Abschied von einem Fremden würdig zu gestalten. Der 65-Jährige, von Beruf Drucker, nun Rentner, arbeitet im Auftrag eines Bestatters als Sarg- bzw. Urnenträger.

Sie tragen Dienstkleidung. Was gehört dazu?

Jochen Jeske: Ein schwarzer Anzug, unter dem ich im Winter noch eine Weste anhabe, einheitliche Krawatte, weiße Baumwollhandschuhe, eine Mütze und der schwarze Mantel mit Cape, den der Bestatter stellt.

Was Sie hier machen, ist eine Nebentätigkeit, ein Job. Wie kamen Sie dazu?

Jeske: Ich singe seit 40 Jahren im MGV 1921 Heißen, und Vorsitzender ist der Bestatter Mombour. Er hatte eine Trägercrew, aber die Leute wurden älter, kränklicher. Also fragte er im Chor herum, wer Lust hätte, bei ihm zu tragen. Außer mir haben sich noch vier andere Kollegen gemeldet. Alles Rentner.

Was hat Sie gereizt?

Ich bin ein neugieriger Typ. Zwilling. Zu allen neuen Herausforderungen bereit. Außerdem kommt man so unter Leute.

Traumberuf: Bestatterin

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    Ist der Dienst, den Sie auf dem Friedhof verrichten, reine Männersache?

    Jeske: Ich kenne jedenfalls keine Trägerinnen, was wohl daran liegt, dass die Särge oft so schwer sind. Bis zu 300 Kilo. Auf dem Heißener Friedhof habe ich einmal gesehen, wie ein Mitglied eines Motorradclubs beerdigt wurde. Sechs Träger konnten den Sarg nicht heben, da haben Trauergäste mit angefasst.

    Ihre Aufgaben bei einer Beerdigung folgen meist einer festen Zeremonie. Lernt man das in speziellen Kursen?

    Jeske: Nein. Wir haben in der Ausstellungshalle des Bestatters eine Trockenübung gemacht. Alles andere schaut man sich anfangs bei erfahrenen Trägern ab. Wie man Decke und Kränze ordentlich ablegt, wann man die Mütze abnimmt, wann man sich verbeugt. Wichtig ist: Bedächtig gehen, nicht hetzen.

    Heute begleiten Sie eine Urnenbestattung. Was wissen Sie über den Verstorbenen?

    Jeske: Nichts, ich kenne nur den Namen. Wir fragen auch nicht nach und tratschen nicht, sondern machen einfach unseren Job.

    Bei Beerdigungen begegnen Ihnen todunglückliche Menschen, für die es ein ganz schwarzer Tag ist. Wie erleben Sie das?

    Jeske: Wir gehen ja vor der Trauergemeinde her und können versuchen, uns in Gedanken etwas abzulenken. Zum Glück musste ich noch keine Kinder beerdigen. Das stelle ich mir ganz schrecklich vor. Was mir auch schwerfällt: Den Sargdeckel zu öffnen, wenn sich Leute im Nebenraum vor der ­Bestattung noch einmal verabschieden möchten. Das machen dann Kollegen, das kann ich nicht.

    Woran liegt das?

    Jeske: Ich kann keine Toten sehen. Ich habe vor Jahren mal jemanden im Krankenhaus sterben sehen und miterlebt, wie die Haut sich verfärbt. Das geht mir immer noch durch den Kopf.

    Darf ein Sargträger weinen?

    Jeske: Das passiert nicht. Allerdings mussten wir letztens einen Sangesbruder aus unserem Chor zu Grabe tragen, der plötzlich gestorben war. Und als dann bei der Trauerfeier noch einmal gesungen wurde, „Heilig, Heilig, Heilig“, da musste ich schon schlucken. Da ist man schon gerührt.

    Werden manche Leute unwürdig verabschiedet?

    Jeske: Manchmal erleben wir Beerdigungen von Amts wegen, von Leuten, die überhaupt keine Angehörigen mehr haben. Und da sitzen dann vielleicht zwei, drei Bekannte der Verstorbenen in der Trauerhalle, die Hände in den Taschen, die Kappe noch auf, Kaugummi kauend. Da macht man sich schon seine Gedanken und fragt sich: Hat der Mensch das verdient?