Bei 211 Euro liegt der Satz für Kinder unter 15 Jahren. Eine fünfköpfige Mülheimer Familie berichtet aus ihrem Alltag.

„211 Euro pro Monat für unsere beiden jüngsten Kinder sind ein Witz. Der Betrag ist doch willkürlich gewählt.” Jürgen Stahl (56)* ist Hartz-IV-Empfänger und Vater von vier Kindern. Diese Woche hat das Bundessozialgericht in Kassel entschieden, dass die Hartz-IV-Sätze für Kinder unter 15 Jahre verfassungswidrig sind.

Der ehemalige Fernkraftfahrer Stahl begrüßt die Entscheidung: Denn bis zur Vollendung des 14. Jahres bekommen Kinder derzeit nur 60 Prozent der Leistungen für alleinstehende Erwachsene – macht 211 Euro für Kleidung, Spielzeug, Schulmaterial, Essen, Kino, Süßigkeiten. . . Jürgen Stahl und seine Frau Birgit (41) müssen genau überlegen, wofür sie Geld ausgeben.

* Namen von der Redaktion verändert

Kinder nicht zu Hartz-IV-Empfängern erziehen

Hartz IV in Zahlen

In Mülheim waren im Dezember vergangenen Jahres 16 063 Personen auf Hartz IV angewiesen, es gab 8 271 Bedarfsgemeinschaften. Von den gut 16 000 Hilfeempfängern sind 4352 Kinder unter 15 Jahren, die damit 211 Euro erhalten.

Laut Bundesagentur leben insgesamt 1,6 Millionen Kinder unter 15 von Hartz IV. Kinder bis zum vollendeten 14. Lebensjahr erhalten 60 Prozent eines alleinstehenden Hartz-IV-Empfängers, also 211 Euro. Zum 1. Juli soll dieser Wert bei den Sieben- bis 13-Jährigen auf 70 Prozent steigen, also auf 246 Euro. Jugendliche erhalten derzeit 80 Prozent des Regelsatzes, also 281 Euro.

Die fünfköpfige Familie Stahl hat im Monat 1523 € zur Verfügung. Zu den festen monatlichen Kosten gehören: 690 € Miete, 180 € Strom, 30 € Hausratversicherung, 100 € für Bustickets der Töchter, 30 € für Telefon/Internet.

Auf 90 Quadratmeter wohnen sie in Styrum. Drei der vier Kinder (3; 12; 16 Jahre) leben noch zu Hause. Die pausbäckige Dreijährige hält ihre Mutter auf Trab. Klettert in der Küche umher, will dann ein Haus aus Papier mit Schere und Klebe bauen. „Ich bemühe mich, meine Kinder nicht zu Hartz-IV-Empfängern zu erziehen”, sagt Birgit Stahl. „Ich fördere sie so gut es geht.” Nicht immer erfolgreich.

Ihre Kinder kämpfen mit Problemen: Sie sind Einzelgänger, pflegen wenig Kontakte. Die Zwölfjährige hat zudem eine Rechenschwäche. „Aber wie sollen wir mit dem wenigen Geld die Kinder optimal fördern?”, fragt die Mutter. „Geld für Nachhilfe ist ganz sicher nicht drin.” Bei der 16-jährigen Tochter wurde eine Aufmerksamkeitsdefizitstörung (ADS) festgestellt, sie bekam nach ihrem Hauptschulabschluss keinen Ausbildungsplatz: „Das macht sie depressiv”, sagt die Mutter.

Seit fünf Jahren erhält die Familie nun Hartz IV. Aufgewachsen ist das Ehepaar in Leipzig, nach der Wende verloren beide ihren Job. Erst fand Stahl Arbeit in Baden-Württemberg, dann 1995 in Mülheim. Zwei Hirnblutungen und zwei Herzinfarkte stoppten ihn 2001. Nach gut 30 Jahren Arbeit.

Kleidung muss günstig sein

Weil er als eingeschränkt arbeitsfähig gilt und nicht in Frührente gehen darf, müssen auch die Kinder kürzer treten. Die Kleine trägt die Kleidung auf, teure Hobbys, Schwimmbad oder Kino sind nicht mehr drin. Der Vater rollt mit den Augen, wenn er die Wünsche seiner älteren Kinder hört: „Die wollen die Klamotten von KiK nicht mehr anziehen.”

Im Schnitt dürfen die beiden ein Mal pro Jahr shoppen; in Geschäften, die sie sich selbst aussuchen dürfen. Ungefähr 100 Euro haben sie dann zur Verfügung.

300 Euro pro Kind?

Der Familie gehe es „nicht schlecht”, betont Jürgen Stahl, aber 211 Euro für ein Kind sei dann doch zu wenig: „Das soll doch eine gute Unterstützung für das Kind sein.” Diese Unterstützung, findet der Vater, sollte aber nicht nur die Grundbedürfnisse wie Ernährung befriedigen. Sondern den Kindern auch ein Leben mit gesellschaftlichen Aktivitäten ermöglichen. Jürgen Stahl hat eine ganz konkrete Zahl im Kopf, was seine Kinder bekommen sollten: „300 Euro pro Kind. Das wär' super.”