Neckermann machte es nur für 13 Jahre möglich: Dem größten Kaufhaus der Kette war kein Erfolg beschieden. Der Komplex wurde bis 1980 abgerissen. Die evangelische Paulikirche nebenan war da schon Geschichte.

Mit dem Berliner Platz kann kaum ein anderer Ort in der Stadt mithalten. Kein anderer Platz hat in weniger als einem halben Jahrhundert mehr Umwälzungen und Veränderungen erfahren, die Folgen planerischer und politischer Stadtentwicklung verdeutlicht. Auch in seinen Randbereichen. Doch der Reihe nach:

Als zweite markante Spitze neben der Petrikirche taucht der Pauli-Turm im 18. Jahrhundert auf den Stadtbildern auf. Graf Wilhelm Wyrich von Daun zu Falkenstein, Herr zu Broich, stiftete der Lutherischen Gemeinde 1658 Geld für die Paulikirche. Ehe die Gemeinde genug gesammelt hatte, um wirklich bauen zu können, vergingen noch Jahre. Erst 1719 wurde die Paulikirche eingeweiht.

Nach dem Zweiten Weltkrieg waren dem Gotteshaus noch gut zweieinhalb Jahrzehnte im Wiederaufbau-Wirtschaftswunderland beschieden. Dann sollte die Paulikirche – marode, aber durchaus markant durch die großen Fenster-Rosetten in den Seitenschiffen – der Stadtentwicklung weichen. Die Petrikirche war als zentrale Hauptkirche längst wieder auferstanden aus Ruinen. Der Bereich zwischen Delle, Ruhr- und Friedrichstraße war von einem Platz noch weit entfernt. Trümmergrundstücke, wenige Häuser, Garten-Reste und ein paar Buden prägten das Bild. Bereits 1960 gab es erste Pläne für eine Neuordnung, die auch ausreichend Raum für einen neuen Platz schaffen sollte. Bis dahin hatte allein die Dresdner Bank 1955 ein markantes, neues Gebäude errichtet. Dann kam Josef Neckermann ins Spiel. Der Chef des Frankfurter Versandhandels- und Kaufhaus-Unternehmens erwarb Grundbesitz, um ein Kaufhaus zu errichten.

Nur noch Trümmer: Die Pauli-Kirche wurde abgerissen, an ihrer Stelle ist heute der Schotter-Parkplatz an der Delle. Foto: Archiv, WAZ
Nur noch Trümmer: Die Pauli-Kirche wurde abgerissen, an ihrer Stelle ist heute der Schotter-Parkplatz an der Delle. Foto: Archiv, WAZ © Fremd

Der Grundstein wurde am 7. April 1965 gelegt. Neckermann, bereits eine deutsche Reiterlegende, Oberbürgermeister Heinrich Thöne und Bürgermeister Fritz Denks mauerten gemeinsam die Abdeckplatte des Grundsteins ein. Das Gebäude, längst im Aufbau, sollte die Umgebung deutlich überragen. Die Architekten hatten einen 93 Meter langen, 78 Meter breiten und elf Stockwerke hohen Komplex entworfen.

Brunnen, Bänke, Blumen

Vorgelagert wurde über drei Etagen ein Flachbau mit Parkdeck. 30 Mio DM investierte Neckermann in sein 26. Kaufhaus in Deutschland. Bereits am 19. November 1965 wurde Eröffnung gefeiert. Der Ansturm war riesig. Der eigentliche Berliner Platz wurde im Stil der Zeit erst im Mai 1967 mit Brunnenbecken, Blumenkübeln und Bänken gestaltet.

Josef Neckermann lobte das Kaufhaus-Projekt damals als „erstes Kind seines Sohnes Peter", der offenbar die Konkurrenz gleich mit einem Riesenbaby beeindrucken wollte. Bleibt man im Bild, endete dessen Engagement in Mülheim mit einer schweren Pubertätskrise des Sprösslings. Das Haus war auf Dauer wirtschaftlich nicht erfolgreich und wurde keine 13 Jahre alt. Am 16. Juni 1978 wurden die Pforten – mittlerweile von der Karstadt AG – geschlossen. Man bot der Stadt das Areal zum Kauf an, zunächst für 20, später für 12 Mio DM. Die musste passen, stand aber gleichzeitig unter Zugzwang. Denn eine weitere Fehlentwicklung sollte auf dem Berliner Platz auf jeden Fall vermieden werden. Die Stadtsparkasse sprang in die Bresche. Die erst 1960 mit dem Baukörper an der Wallstraße erweiterte Hauptstelle am Viktoriaplatz war ihr bereits wieder zu klein geworden. Auf der Suche nach dem geeigneten Standort für eine neuerliche Erweiterung boten sich nun am Berliner Platz Perspektiven. Im September 1978 beschloss der Verwaltungsrat den Ankauf des 6400 Quadratmeter großen Grundstücks für 12 Mio DM. Die Bedingung: Die Stadt sollte die bisherige Hauptstelle sowie die Tiefgarage am Viktoriaplatz im Gegenzug übernehmen. Der Stadtrat machte am 21. September 1978 den Weg für den Transfer frei.

Die Übertragung des Gebäudes für 10,1 Mio DM erfolgte 1979, die Tiefgarage sollte erst nach dem Umzug zum Berliner Platz für 2,4 Mio DM von der Stadt übernommen werden. Im September 1979 wurde mit dem Abbruch der letzte Teil der Mülheimer Neckermann-Story eingeleitet. Zum Finale knickte am 20. März 1980 um 10.21 Uhr der Aufzug- und Treppen-Turm als letztes Stück des Kaufhaus-Riegels ein – spektakulär zu Fall gebracht von der großen Schleuderkugel eines Baggers.

Pauli-Protest

Mensch und Maschine hatten acht Jahre zuvor im April nebenan bereits die Paulikirche dem Erdboden gleich gemacht. Mit der Kirche verbunden bleibt die Erinnerung an frühen Jugendprotest. Mit einer ersten Hausbesetzung hatten Jugendliche vergeblich den Abriss zu verhindern gesucht. Sie plädierten für den Erhalt der Kirche als selbstverwaltetes Jugendzentrum.

Im Dezember 1971 demonstrierten sie erneut für ihre Ziele. Die Paulikirche war da schon ein abgeschlossenes Kapitel in einer langen Geschichte verpasster Chancen.

Bei neuen Formen der Demo-Kultur spielte der Berliner Platz eine zentrale Rolle. Hier traf man sich, um aufzubegehren: im Februar 1968 gegen hohe Fahrpreise für Bus und Bahn, im Mai 1968 gegen die Notstandsgesetze. Schüler probten sich hier in neuen Formen des Widerstands, legten mit Sit-ins den Verkehr lahm und die Nerven mancher Mülheimer blank. Doch die große Studenten-Revolte war weit, und das Jugendzentrum blieb fern.

Die Besetzung der Paulikirche war nur ein Startsignal auf einem langen Weg. 1980 wurde das Löwenhof-Kino besetzt - und dennoch abgerissen. Bis 1985 führte der Jugendprotest zur zwischenzeitlichen Nutzung eines Fabrik-Gebäudes am Tourainer-Ring und länger in eine alte Lederfabrik am Kassenberg. Besetzung, Räumung und Abriss wiederholten sich 1996 in Saarn, diesmal auf dem Gelände der Lederfabrik Rühl. Das Autonome Jugendzentrum erkämpften schließlich die Kinder der Pauli-Protestgeneration an der Auerstraße.