Mülheim. .

Das festlich illuminierte Schloss Broich in einer lauen Sommernacht, die romantische Kulisse des Schlosshofs und der Ringmauer zu erleben – das war schon die „halbe Miete“. Die andere Hälfte der „Miete“ bei der vierten Broicher Schlossnacht war das Programm: Rund 800 Besucher genossen in Mülheims „guter Stube“ eine bunte Mischung aus Kunst, Kultur und Kleinkunst.

Ein Programm, das an Rhein und Ruhr seinesgleichen sucht. Behinderte und nicht-behinderte Künstler verwandelten das Schloss für fünf Stunden in einen „Kessel Buntes“. Es war magisch und faszinierend, anregend und verwirrend, amüsant und unterhaltsam zugleich.

Wenn man so will, boten die Artisten und Musiker eine Art künstlerische Inklusion. Hier gelang einmal, was Politiker so gerne beschwören: Die Integration behinderter Menschen in unsere Gesellschaft: Dass dieser hohe Anspruch bei der Broicher Schlossnacht eingelöst wurde, ist der gelungenen Kooperation zwischen der Mülheimer Stadtmarketing und Tourismus GmbH und dem Verein „Art Obscura“ zu verdanken. Der „Art Obscura e.V.“ fördert behinderte Künstler, öffnet ihre Kunst einem breiten Publikum.

Künstlerische Inklusion

Die Adeligen von „Petite Noblesse“, zurückgekehrt aus den Zeiten der preußischen Königin Luise, hießen ihre zahlreichen Gäste an ihrem Hofe persönlich willkommen und begleiteten sie freundlich winkend durch den Abend. Im Innenhof begegneten die Besucher den fantasievoll als Fische oder Oktopusse kostümierten „Wasserwesen“, die aus ihrer verborgenen Heimat - den Tiefen der Meere und Ozeane - aufgetaucht waren. Ein paar Schritte weiter frisierten und schminkten die acht Künstler der Theatergruppe „Terra est vita“ Damen und Herren nach allen Regeln der Kunst, verpassten ihnen knallbunte Perücken. Im Frisiersalon gab es für die Kunden auch Wartestühle und Zeitungen- und natürlich Friseurgespräche. Daneben amüsierten im Innenhof diverse Kleinkünstler das Publikum: This Maag z.B. bewies mit seinen turbulenten Trommelsketchen, wie man aus Nichts eine große Performance gestalten kann. Die belgische Artistentruppe „Les p’tits bras“ lockte die Schaulustigen mit einem Mix aus Trapezartistik, Jonglage und Akrobatik, Musik und Humor aus der Reserve. Jede Menge Zirkus, Deutschlandpremiere für ihr circensisches Programm „Triplette“.

Jede Menge Zirkus

Die Hamburger Behinderten-Band „Bitte Lächeln“, die es 2011 auf den zweiten Platz beim bundesweiten Wettbewerb „Guildo sucht die Superband“ brachte, überzeugte auf der Bühne hunderte Fans mit Rock und Reggae, frechen, witzigen Texten. Besonders bei diesem Auftritt der Newcomer-Band aus Altona zeigte sich, das behinderte Menschen eine starke Lebensfreude ausstrahlen – allen gängigen Vorurteilen zum Trotz. Diese Energie sprang schnell aufs Publikum über.

Auch die Band „Stäx“ begeisterte zu später Stunde mit Rock, Groove und Funk, mit schrägem Charme, asiatischen Riesentrommeln und heißen Rhythmen. Bei diesem Act gab es schon bald kein Halten mehr. Die Zuhörer tanzten und applaudierten ohne Ende.

Über Tische und Bänke ging es dazwischen beim Auftritt von ­„Llyod und Harold“, den kulinarischen Zauberern aus der Küche von Kevin Brooking und Colm O’Grad. Diese „Meisterköche“ trommelten auf Töpfen und Bratpfannen, ließen Popcorn aus ihren Kochmützen fliegen, machten sich mit ihrem absurden „Naked Lunch“ über die Nouvelle Cuisine lustig, zeigten, dass schon zwei Köche den Brei verderben können.

Kurzfilm „Mülheim ohne Titel“

Etwas ruhiger, aber nicht weniger schräg bis spektakulär lief es im Hof der Ringmauer ab. Dort präsentierte Jürgen Diemer seinen Kurzfilm „Mülheim ohne Titel“ oder „Don’t shoot the zeppelin“. Der Streifen zeigt gewohnte Plätze der Stadt – die Ruhr, den Wasserbahnhof, das Müga-Gelände, das Forum, die Straßen der Innenstadt - in ungewohnten Bildern. Das Leben Mülheims - mit Menschen, Tieren, Autos im Spielzeugformat - pulsiert im Zeitraffer. Diemers Stadtfilm unterlegten die Musiker Georg Göbel-Jakobi alias Ozzy Ostermann und Peter Eisold mit einer Klangcollage irgendwo zwischen Ry Cooder und King Crimson. Eindrucksvoll.

Schräg gegenüber war den ganzen Abend der „Gedankentisch – Brettchen vorm Kopf“ gedeckt. An einer festlich gedeckten und illuminierten Tafel hörten sich jeweils zwölf Besucher per Kopfhörer Tischgeräusche, Stimmengewirr, Gesprächsfetzen, Besteckklappern, Gelächter und umkippende Gläser an. Eine außergewöhnliche Rauminstallation der belgischen Künstler Ola Szostak und Willemijn Schellekens. Skurriler geht es kaum. Dutzende Frauen und ein paar Männer ließen sich von den Wahrsagerinnen des „Art Obscura Orakels“ die Zukunft lesen. In der Tat: Äußert obskur! Und zum Finale flog der legendäre „Flying Wheelchair“ der „Art Obscura“ über den Schlosshof. Der „Traum vom Fliegen“ wurde wahr…