Mülheim.

Er nennt sich „Rolli Rocker“, kann kaum noch laufen, stellt aber auf der Freilichtbühne ein neunstündiges Festival „auf die Beine“, wie er sagt. Zum dritten Mal in Folge, zugunsten schwerstkranker Kinder und ihrer Familien. Bernd Nierhaus (51) hat ernsthafte Anliegen, und wer die – etwa bei seinen Sammelaktionen in der Fußgängerzone – verspottet, bekommt schon mal einen Hieb mit den Krücken, die er griffbereit mit sich führt. Wer ist dieser Mann, der so hemdsärmelig nach vorne geht?

Als wir uns verabredet haben, sagten Sie am Telefon: „Sie erkennen mich sofort: Ich bin der Dicke im Rollstuhl.“ Wie könnte man Sie sonst noch beschreiben?

Bernd Nierhaus: Ich bin ein angenehmer Chaot.

Woher kommt Ihr Spitz- oder Künstlername „Rolli Rocker“?

„Rolli“, weil ich im Rollstuhl sitze, „Rocker“, weil ich früher gerne Motorrad gefahren bin. Ich hatte eine Suzuki Intruder, so einen Fernsehsessel. Wir haben schöne Touren gemacht, mein Kumpel und ich: Monaco, Sardinien, Korsika. Mit Igluzelt und wildem Camping.

Wie lange ist das her?

Etwa zehn Jahre. Jetzt kann ich leider nicht mehr fahren. Das Motorrad habe ich verkauft.

Hatten Sie einen Unfall?

Nein, eine MS-Erkrankung. Angefangen hat es vor 20 Jahren. Ich bin nachts aufgewacht, sah Blitze vor den Augen, konnte meine Arme und Beine nicht mehr bewegen. Ich kam ins Essener Uni-Klinikum, dort wurde die Diagnose gestellt. Da habe ich erst mal eine Strophe geheult, dann aber gesagt: Weitermachen!

Typisch für Multiple Sklerose sind Krankheitsschübe: Es geht einem schlagartig schlechter, dann wieder besser. Ist das bei Ihnen auch so?

Ja. Wenn man morgens wach wird, guckt man, ob alles noch dran ist. Es gibt viele Baustellen . . .

Sie sind Rentner. Wie haben Sie früher Ihr Geld verdient?

Ich war selbstständiger Spediteur, hatte drei Sattelzüge und viele gute Aufträge. Bei den Baustellen für die Neue Mitte in Oberhausen oder den Bottroper Movie Park waren wir beispielsweise dabei.

Heute stecken Sie viel Arbeit in Hilfsprojekte und haben kürzlich auch einen Verein gegründet: Rolli-Rockers-Sprösslinge. Zu welchem Zweck?

Ich möchte sozial schwachen Kindern helfen, deren Eltern sie zum Bierholen schicken, aber sonst keine Zeit haben. Ich sehe Kinder mit meinen Augen, wie ich früher war. Ich kam mit sechs Jahren ins Kinderheim und lebte dort, bis ich fast 14 war. Ein Lichtblick war für mich immer Weihnachten, der leuchtende, geschmückte Baum. Also haben wir im Dezember in Styrum erstmals die Aktion „Weihnachtsstern“ gestartet, Kinder aus Mülheim, Duisburg und Oberhausen zu einer Feier eingeladen, mit Chor, Weihnachtsmann und Geschenken. 200 Kinder sind gekommen.

Die Benefiz-Aktion am Samstag auf der Freilichtbühne fällt sicher wieder einige Nummern größer aus. Der gesamte Erlös ist für das „Regenbogenland“ in Düsseldorf bestimmt, von Mülheim aus das nächstgelegene Kinderhospiz . . .

Genau. Ich möchte aber nicht nur Geld sammeln für die Fruchtzwerge im Hospiz, sondern den Leuten auch das Thema näherbringen. Schwerstkranke, sterbende Kinder, das blendet man gerne aus.

Sie nicht: Warum bewegt es sie so?

Ich wusste früher selber nicht, was ein Hospiz ist. In der Uni-Klinik traf ich eine Mutter, die erzählte: „Mein Kind kommt am Montag ins Hospiz.“ Und ich sagte: „Da freue ich mich aber.“ Ich dachte, das wäre so etwas wie ein Kindergarten. Die Frau guckte mich ganz komisch an. Zu Hause habe ich es dann gegoogelt und fühlte mich verpflichtet, mal zu einem Kinderhospiz zu fahren, um zu sehen, was es wirklich ist.

Besuchen Sie seitdem häufiger das „Regenbogenland“?

Ja. Dort kümmern sie sich auch um die Geschwister der kranken Kinder, die ja oft zu kurz kommen.

Unterstützt werden Sie bei Ihrer Veranstaltung von vielen Künstlern, die alle ohne Gage auftreten. Wie überzeugen Sie Ihre Benefiz-Gäste?

Quatschen. Klarmachen, dass es um Kinder geht.

Was sagen Sie, wenn Sie zum Beispiel Ralf Richter anrufen?

Ralf war letztes Jahr schon hier. Man hört nur von seinen Eskapaden, aber er ist so ein herzlicher Mensch! Wir haben uns kennengelernt, als wir gemeinsam in diesem Schalke-Film mitspielten, „Fußball ist unser Leben“. Ich habe ihn also angerufen, und er sagte: „Bernd, ich gucke mal und melde mich.“ Das sagen viele, von denen ich nie mehr was hören. Aber er hat direkt zurückgerufen: „Ich bin dabei.“

Wenn Sie sich einen Stargast wünschen dürften, wer wäre das?

Peter Maffay. Das wäre mein Ziel, den irgendwann mal hier zu haben.

Haben Sie schon angefragt.

Mehrmals. Leider habe ich noch nie eine Antwort bekommen. Aber ich bleibe dran.

Was beim Freiluft-Festival passiert

Das Benefiz-Festival läuft am morgigen Samstag, den 2. Juni, von 13 bis 22 Uhr auf der Freilichtbühne an der Dimbeck. Auftreten werden u.a. Willi Herren (gegen 15 Uhr), Klaus Vanscheidt, mehrere Rock- und Coverbands, HipHop-Crews und Schlagersänger.

Im Rahmenprogramm sind zwischen 15 und 18 Uhr Autogrammstunden mit „Let’s Dance“-Juror Roman Frieling, Schauspieler Ralf Richter und Comedian Dr. Wolf Haeger geplant.

Die Schirmherrschaft hat OB Dagmar Mühlenfeld übernommen. Der Eintritt ist frei, Spenden gehen an das Kinderhospiz Regenbogenland. Infos: www.rolli-rocker.de.