Mülheim. .

In diesem Jahr stehen knapp 800 Schüler vor dem Abitur. 2013 werden es über 1600 sein. Der Grund: Aufgrund des verkürzten Abiturs (G 8) machen gleich zwei Jahrgänge Abi. Sie drängen nicht nur an die Hochschulen, sondern etwa auch ein Viertel auf den Ausbildungsmarkt.

Daraus ergeben sich verschiedene Fragen: Werden mehr Ausbildungsplätze angeboten? Besteht die Gefahr, dass Schüler, die zur selben Zeit die mittlere Reife oder den Hauptschulabschluss machen, von den Abiturienten verdrängt werden? Wir fragten bei der Unternehmerverbandsgruppe, bei der IHK, der Kreishandwerkerschaft, beim Einzelhandelsverband, bei Siemens und der Agentur für Arbeit nach.

Die Unternehmerverbandsgruppe: „Der doppelte Abitur-Jahrgang ist eine große Chance für die Unternehmen in Zeiten des Fachkräftemangels. Wir sind sehr optimistisch, dass sie genügend Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen werden“, meint Hauptgeschäftsführer Wolfgang Schmitz. Umfragen hätten ergeben, dass 2011 ein Sechstel der Unternehmen im Ruhrgebiet die Ausbildungsplätze nicht besetzen konnte. Die Unternehmen würden sich also über mehr Bewerber mit Abitur freuen. Doch auch Abgänger anderer Schulen seien 2013 gefragt.

Die IHK: Ähnlich sieht es Heinz-Jürgen Guß von der IHK. „Da nur ein Viertel der Abiturienten nicht studiert, ist ein Verdrängungswettbewerb kaum anzunehmen.“ Zudem sei längst nicht jedes Unternehmen daran interessiert, möglichst viele Abiturienten einzustellen, da die Gefahr bestehe, sie nach Abschluss der Lehre zu verlieren, „weil sie studieren wollen“. Neben einigen Großunternehmen, die durchaus bereit seien, mehr Ausbildungsstellen anzubieten, hat er aber vor allem die mittleren und Kleinbetriebe im Auge. „Die werden sich mit jungen Menschen vollsaugen“, um so dringend benötigte Nachwuchsfachkräfte zu bekommen. „In Bayern gab es schon 2011den doppelten Abiturjahrgang und die Sache ging geräuschlos über die Bühne.“

Die Kreishandwerkerschaft: „Wir freuen uns über mehr Bewerber“, sie der stellvertretende Geschäftsführer Peter Schmidt. Natürlich hätten die Betriebe gerne mehr Abiturienten, die sich für eine Ausbildung im Handwerk interessierten. „Doch sie gehen danach ins Studium.“ Dabei hätten sie hervorragende Perspektiven: Gesellenprüfung, Meisterbrief, Selbstständigkeit. „Außerdem suchen viele Betriebe Nachfolger.“ Schüler mit Real- oder Hauptschulabschluss blieben aber die klassische Klientel für eine handwerkliche Ausbildung. „Ganz schwache Schüler, die werden es aber im kommenden Jahr sehr schwer haben“, so seine Einschätzung.

Kapazitäten erschöpft

Der mit 5000 Beschäftigten größte Arbeitgeber stellte im vergangenen September 96 Auszubildende ein. „Eine Erhöhung ist für 2013 nicht vorgesehen“, sagt Pressesprecher Gregor Lohmann. „Unsere Kapazitäten sind voll ausgeschöpft.“ So einfach lasse sich die Zahl der Lehrstellen nicht erhöhen. „Wir haben eine Lehrwerkstatt mit Ausbildern, Arbeitsplätzen, Maschinen und allem, was dazu gehört.“ Da lasse sich nicht mal so eben was draufsatteln. Werden folglich 2013 Real- und Hauptschüler von Abiturienten verdrängt? „Nein“, sagt Lohmann. „Wir bieten immer ein bestimmtes Kontingent für alle Schulabschlüsse an.“ Und auch Jugendlichen mit besonderem Förderbedarf werde seitens des Unternehmens eine berufliche Chance geboten.

Der Einzelhandelsverband: „Man müsste eine Glaskugel haben, um zu sehen, was 2013 wird“, meint Hauptgeschäftsführer Marc Heistermann. Die Hauptklientel der Azubis im Handel habe Haupt- oder Realschulabschluss. Dabei lohne sich der Berufseinstieg auch für Abiturienten, wegen der Aufstiegschancen. „80 Prozent der Führungskräfte wird aus den eigenen Reihen rekrutiert“, so Heistermann.


Die Agentur für Arbeit
: Nicht ganz so rosig sieht die Pressesprechern der Arbeitsagentur, Katja Hübner, die Folgen des doppelten Abiturjahrgangs. „Realschüler und Hauptschüler könnten die Verlierer sein, weil sich die Arbeitgeber die Abiturienten aus dem Reservoir der Interessenten rauspicken.“ Die Agentur appelliert daher an die Firmen, 2013 mehr Ausbildungsplätze anzubieten. „Nach Gesprächen mit IHK und Unternehmen scheint der Wille auch da zu sein. Aber das ist immer eine Sache der jeweiligen Auftragslage.“ Im vergangenen Oktober gab es 58 Schulabgänger, die keinen Ausbildungsplatz fanden, 26 Lehrstellen blieben unbesetzt. Allen Jugendlichen rät sie dringend, sich frühzeitig zu informieren und nicht nur auf Großbetriebe zu schielen, sondern sich auch an kleinere oder mittlere Firmen wenden.

Und wer nichts findet? Als Überbrückung könnte das Freiwillige Soziale oder Ökologische Jahr oder auch der Bundesfreiwilligendienst infrage kommen.