Mülheim. .
Manchmal ist gerade Unbefangenheit Motor der Entwicklung. Die drei angehenden Stadtplaner Pia Bültmann (21), Maximilian Hellriegel (21) und Michael Reiche (27) von der Bauhaus-Universität Weimar kennen Mülheims Innenstadt erst seit wenigen Tagen. Für sie besonders auffällig: Den Bürgern werde hier wenig öffentlicher Freiraum gewährt, der das Zusammenleben der Stadtgesellschaft beflügelt. Sie sagen: Her damit!
Alle drei studieren in Weimar. Pia Bültmann stammt aus Bielefeld, Maximilian Hellriegel aus Leipzig, Michael Reiche aus Halle/Saale. „Der erste Eindruck“, sagt Letztgenannter, „prägt sich immer ein.“ Da sei er bei seiner ersten Ankunft am Hauptbahnhof „ehrlich gesagt erschrocken“ gewesen, wie ihn die Stadt empfangen habe. Durch dunkle, enge Gänge sofort durch ins Einkaufszentrum: Eine andere Möglichkeit als diese, ins Freie zu gelangen, habe er nicht gesehen. Lässt sich so Stadt erfahren, Stadt leben?
Das Studenten-Trio hat in fünf, sechs Tagen Mülheim einige Schwachstellen ausgemacht: eine schlechte Anbindung der Altstadt, der Ruhr, dass hier alles auf den motorisierten Verkehr zugeschnitten sei . . . Fußgänger, Radfahrer – Menschen zweiter Klasse? Menschen, für die die Stadtplanung nicht viel übrig hat? Michael Reiche schwebt zumindest eine autofreie Altstadt vor. Vielleicht gar eine autofreie Innenstadt?
Eine Wiederbelebung des Kaufhofs als Einkaufszentrum hält Maximilian Hellriegel für ausgeschlossen. „Handel in Kaufhäusern hat sich überlebt“, sagt Kommilitonin Pia Bültmann. Alternativen seien zu denken, so wie es Bürger dieser Tage gemacht haben. Auf jeden Fall müsse der Klotz durchlässig werden, damit die Menschen besser zum Wasser finden. „Es muss aber nicht immer gleich was Neues gebaut werden, wenn man Altes wegreißt, sagt Hellriegel. Der Beton aus den Köpfen muss raus! Abriss ja, aber bloß nicht 1:1-Ersatz in jener Wuchtigkeit.
Den Bürgern sei mehr öffentlicher Raum zu geben, das sei mehrfach geäußerter Wunsch der laufenden Bürgerbeteiligung. Schließlich, so Hellriegel, habe man schon die Ruhrpromenade als Naherholungsziel für die Bürger zu schmal geplant. Das Kaufhof-Areal, sagen die Studenten, eigne sich, den Bürgern durch Beton-Planung verloren gegangenen Raum wiederzugeben. Dafür müsse Planungspolitik nun lernen, Bürger als Experten für ihre Stadt zu akzeptieren. Der Spieß sei umzudrehen. Stadtplanung habe sich mehr auf die Moderation zurückzunehmen. Bürger sagen, was sie an Stadtentwicklung wünschen. Dies sei in der „Causa Kaufhof“ nun mal ein neuer öffentlicher Raum. Vielleicht in Verbindung mit einer Markthalle, einem multikulturellen Kaufhaus, mit Freizeit- und Kulturangeboten – Ideen sind reichlich da.
Pia Bültmann würde „auf jeden Fall einen Teil vom Kaufhof wegnehmen und einen offenen Zugang zur Ruhr ermöglichen. Rund um das Restgebäude würde sie komplett auf Begrünung setzen, „den Kaufhof symbolisch übergrünen lassen“. Wichtig ist der 21-Jährigen permanenter Wandel in etwaigen Zwischennutzungen. „Ich würde das Gebäude der Stadt schenken, damit diese es den Bürgern zugänglich machen kann“, geht Hellriegel noch einen Schritt weiter. Der Kaufhof als lebende, eben mal nicht auf Kommerz ausgelegte Kommune – das ist seine Vision. Kommerz sei doch ringsum reichlich, wenn nicht im Überfluss da.
Und so geht’s am Mittwoch weiter:
Bergfest der Planer: Das gemeinsame Arbeiten von Planungsexperten und Bürgern im „Stadtwerk“, Leineweberstraße 15-17, beginnt wie gewohnt um 9.30 Uhr. Um 15 Uhr sind wieder Fachleute der Stadtverwaltung zugegen, um Fragen, Kritik und Anregungen der Bürger anzuhören und Antworten zu geben.
Kaufhof-Eigentümer kommt: Was soll aus dem Kaufhof werden? Wieder ein Einkaufscenter, eine Markthalle, ein Freizeithaus mit Sport und Kultur, nach Komplettabriss gar ein öffentlicher Park? All das ist in der Diskussion. Auch Zwischennutzungen sind vielfach gewünscht worden. Um 11 Uhr wird Kaufhof-Eigentümer Jochen Hoffmeister erwartet. Zusammen mit Tim Schiebold, Einzelhandelsfachmann bei der Wirtschaftsförderung, wird er Stellung dazu beziehen, was für ihn am Standort wirtschaftlich darstellbar ist und was nicht.
A&O der Gestaltung: Das öffentliche Forum beschließt – wie nun schon gewohnt – ab 18.30 Uhr den Tag. Als Gastreferent eingeladen ist diesmal Prof. Franz Pesch, ein renommierter Architekt und Stadtplaner mit Lehrstuhl an der Universität Stuttgart und eigenem Büro mit Standorten in Herdecke, Stuttgart und Shanghai. Pesch ist Mitglied des Mülheimer Gestaltungsbeirates. Den Abschluss bildet eine Diskussion.
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