Mülheim. .

Sie sprechen nicht von Berufsberatung, sondern von „Berufsorientierung“ – in diesem Fall gar von „Vertiefter Berufsorientierung“. So heißt ein Baustein von vielen, mit dem die Gustav-Heinemann-Schule ihre Schüler zum Traumjob bringen möchte. Denn um den Weg dorthin zu finden, müssen sich die Jugendlichen im Wust der Möglichkeiten orientieren, sich zwischen rund 350 Ausbildungsberufen und 200 Studiengängen zurechtfinden. Wie wichtig dies ist, zeigen aktuelle Zahlen: 23 % der Mülheimer Lehrlinge brechen ihre Ausbildung ab, die meisten noch im ersten Schuljahr. Eine Berufsbörse, die die Gesamtschule mit dem Unternehmerverband und finanziert von der Agentur für Arbeit organisierte, sollte vor allem Zwölfklässlern Alternativen zeigen.

Nun ist eine Berufsbörse keine neue Idee; erst am vergangenen Wochenende waren Unternehmen im Berufskolleg Stadtmitte zu Gast. Dennoch loben sowohl Elisabeth Schulte, Mitglied der Geschäftsführung im Unternehmerverband, als auch Wolfgang Draeger, stellvertretender Leiter der Agentur für Arbeit Mülheim-Oberhausen, das Konzept der Gustav-Heinemann-Schule. „Es gibt eine gute Vor- und Nachbereitung des Tages“, betont Elisabeth Schulte. Dies sei entscheidend, so Wolfgang Draeger: „Wir müssen uns von der Idee verabschieden, dass die Berufswahl ein punktueller Vorgang ist, der in einem bestimmten Alter passiert. Berufswahl ist ein Prozess.“ Und den müsse man kontinuierlich begleiten.

Diesen Ansatz verfolgt auch das Team der Gustav-Heinemann-Schule. Die Berufsbörse, bei der am gestrigen Freitag Vertreter von 20 Firmen rund 200 Schüler der zehnten, zwölften und 13. Klasse in Vorträgen und persönlichen Gesprächen informierten, sei als Angebot einmal im Jahr toll, sagt Berufswahlkoordinatorin Vera Laufer-Joußen, „aber man muss nachhaltig denken“. Deshalb habe man das Angebot mit den Jahren „deutlich professionalisiert“. Etwa habe das Team eine feste Berufs-Sprechstunde eingerichtet, die sehr erfolgreich sei.

Dass bei der Berufswahl immer noch dieselben Mechanismen gelten, weiß Thomas Löhr, Referent für „Vertiefte Berufsorientierung“ im Unternehmerverband: „Die Top Ten der Berufe ist seit Jahren gleich.“ Da ist der Vater Mechatroniker, da wird auch der Sohn Mechatroniker. Mädchen werden Arzthelferin, und alle wollen sie zur Bank. Hinzu kommen immer wieder Trendberufe. Momentan, weiß Vera Laufer-Joußen, ist das „Bionik“, ein neuer Studiengang, der bereits völlig überlaufen sei. „Da muss man sich überlegen, ob man Schülern dazu raten kann.“ Das sieht Wolfgang Draeger anders. Der Mann von der Agentur für Arbeit plädiert für eine Beratung „unabhängig von dem, was am Markt passiert. Zentral sollte immer das Interesse der Jugendlichen sein.“

Doch gerade diese Interessensbildung findet Abiturient Max Wetzig schwierig. „Besonders kurz vorm Abi ist man in einem Loch. Man weiß, bald ist die Schule vorbei und ich kann alles machen – aber man weiß gar nicht, was man genau machen will.“ Andere sind da weiter, wie Viktoria Maas, Hazal Akdogan und Natalie Lenz. BWL und Lehramt (Englisch und Bio) wollen Viktoria und Hazal studieren, Natalie will in die Immobilienbranche. Die Börse, sagen sie, gab ihnen die Chance, sich konkret zu informieren. „Wir haben ganz viele Broschüren.“

Schüler nehmen Praktika ernster

Nun ist die Börse mit ihren Broschüren Theorie, die Fachleute betonen aber, wie wichtig Praxis sei. Das scheinen auch die Schüler erkannt zu haben. Volker Smit, MINT-Koordinator der Gesamtschule, erlebt, dass Schüler Praktika zunehmend ernster nehmen. Dieses Bewusstsein müsse man ausweiten, findet Smit: „Wir müssen in der sechsten, siebten Klasse mit der Berufswahlorientierung anfangen. Wenn sich das wie ein roter Faden durch die Schulzeit zieht, kann das langfristig etwas bringen.“ Dann könnten sich Abbrecherzahlen nachhaltig reduzieren lassen.

Neben den beliebtesten Ausbildungsberufen gibt es auch jene Bereiche, denen aktuell noch Lehrlinge fehlen. In der MEO-Region sind dies laut Unternehmerverband unter anderem: Elektroberufe, Gesundheitsberufe (etwa Examinierte Altenpfleger), Metallerzeugung und -verarbeitung, Installations- und Metallbautechnik sowie im technisch-naturwissenschaftlichen Bereich.