Mülheim. Verbrecher nutzen die Wehrlosigkeit ihrer Opfer, gerade älterer. Die Gemeinschaft könnte helfen, wenn sie es wollte
Selten war der Polizei so an einer Erfolgsmeldung gelegen, doch Peter Elke musste passen. Vor einer Woche überfielen zwei Männer einen 95-Jährigen in dessen Wohnung und noch immer, musste der Pressesprecher einräumen, gibt es „nichts zu berichten“. Keine Spur, keine Festnahme. Dabei wäre nicht nur Kommissar Elke der Täter gerne habhaft. In Seniorenvereinen ist die Furcht, Opfer zu werden, ein großes Thema, wie Karin Medenblik-Bruck vom Seniorenclub Dümpten bestätigt. Erfolgsmeldungen täten da gut.
Doch sie sind rar. In der Statistik gibt es weder bei der Zahl der Fälle, noch bei der Aufkläsungsquote nennenswerte Bewegung. Der rasche und rücksichtlose Griff zur Handtasche auf offener Straße, das hinterhältige Eindringen in Wohnungen mit dem Enkel-Trick und seinen Anverwandten, beides gehört zum polizeilichen Alltag. Am 19. Januar erst verschaffte sich ein falscher Wasserwerker Zugang zu der Wohnung eines Ehepaars in Heißen, 85 und 86 Jahre alt. Die Täter setzen dabei auf ihr Geschick und ihre Kraft und kalkulieren die Hilfslosigkeit älterer Menschen mit ein. „Stärkere gegen schwache: Das ist wie beim Abziehen auf dem Schulhof“, sagt Elke.
Mit aller Gewalt
Der Polizist hütet sich, aus seinen Beobachtungen und Erkenntnissen einen Trend zu machen. ‘Immer mehr Gewalt gegen Ältere, Täter immer brutaler’, das sagt sich schnell, legt nahe, es gäbe einen Grund oder eine Ursache und verdeckt doch nur, dass das Besondere im Gewöhnlichen liegt. Sinkende Hemmschwellen und Rücksichtslosigkeit sind kein Alleinstellungsmerkmal von Kriminellen. Die Folgen der Verbrechen jedoch sind für ältere Menschen schlimmer, manchmal gefährlicher.
Ebenfalls in der vorigen Woche suchte sich ein Verbrecher eine 84-jährige Frau zum Opfer aus. Ihre Gehbehinderung ist offensichtlich und die Polizei glaubt, dass der Täter genau deswegen im wahren Sinne des Wortes zuschlug. In der Nähe eines Gemeindezentrums stieß er sie am helllichten Tag zu Boden. „Wer das macht“, sagt der Polizist Elke, „nimmt schwere Verletzungen in Kauf“. Die Frau hatte Glück, der Täter nicht. Die Handtasche, die er erbeutete, enthielt ein paar Euro und ein Hörgerät.
Tatsächlich, so berichten es auch Krankenhausärzte, kommt es nach Überfällen dieser Art immer wieder zu Knochenbrüchen; mit all den Komplikationen und Risiken, die durch das hohe Alter bedingt sind. Für manche aber bricht nach der Tat schlicht eine Welt zusammen, eine Welt, in der sie eine solche schrankenlose Gewalt für undenkbar gehalten hatten. Der 95-jährige Mann in Dümpten etwa kämpft immer noch mit den seelischen Folgen des Überfalls und hat das Glück, bei seinen Angehörigen Unterstützung zu finden.
Gerade der Überfall auf den Mann, der zum Ausklang des Ersten Weltkriegs geboren wurde, hat aber eine weitere, erschreckende Komponente. Der Senior lebt in einem Mehrfamilienhaus und in einer belebten Gegend. Die soziale Kontrolle, von der so viel die Rede ist, hier hat sie offenbar nicht funktioniert, zumal die beiden als sportlich beschriebenen jungen Männer möglicherweise nicht zum ersten Mal in der Gegend ihre rabiaten Beutezüge unternommen haben.
Genau dieser Umstand bereitet Karin Medenblik-Bruck Sorgen. „Die Leute wenden sich eher ab“, sagte sie, „und dieses Gefühl, im Ernstfall allein zu sein, macht den Alten Angst.“ Die wenigsten gingen auf der Straße dazwischen und Lärm im Hausflur rufe längst nicht mehr jeden zum Türspion. Was zu tun ist, ist für Medenblik-Bruck eine so drängende Frage, dass der Seniorenclub beschlossen hat, polizeiliche Beratung in Anspruch zu nehmen.
Aber was kann die Polizei raten? „Es gibt einiges, was man tun kann“, sagt tapfer Peter Elke; banale Dinge sind darunter, etwa keinem Fremden die Tür zu öffnen und auf der Straße um Hilfe zu schreien. Umfassende Ansätze gibt es kaum. Mehr Personal wäre einer, aber wer will das bezahlen? Und auch die Videoüberwachung öffentlicher Plätze, wie sie die SPD jetzt für die Innenstadt wenigstens geprüft wissen will, läuft bei vermummten Gewalttätern eher ins Leere.
Haltet den Dieb!
Was bleibt? „Wenn es eine Renaissance des Hinsehens gäbe, wäre schon viel erreicht“, sagt Elke und er weiß selbst, wie pastoral das klingt. Dabei hätte das gesunde Mittelmaß zwischen Neugier und Anteilnahme, im Hausflur wie auf der Straße, durchaus brauchbare kriminalpräventive Wirkung. Wenn Täter damit rechnen müssten, dass ‘Haltet den Dieb’ als Selbstverständlichkeit verstanden wird, dass sich Passanten einmischen statt wegzuschauen, dann erhöht das ihr Risiko.
Und genau das ist es, was Verbrecher mehr scheuen als alles andere.