Mülheim. .
Wäre Alexander Wiegand seinem Wohltäter heute einfach auf der Straße begegnet, er hätte ihn nicht erkannt. Dabei ist ihm das Gesicht von Dieter W. noch genau vor Augen, der Wiegand im Jahr 1974 mit 5000 D-Mark half, aus tschechischer Gefangenschaft zu entkommen. Nur ist ihre Begegnung eben über 37 Jahre her und seitdem hatten sich die beiden nicht gesehen.
Nun aber – nachdem Wiegand lange Zeit nach Dieter W. suchte – war es so weit: In einer Nürnberger Wohnung, wo W. lebt, begegneten sich zwei Menschen, die eine harte Zeit zusammengeschweißt hatte. „Es war ein sehr herzliches Wiedersehen“, schildert Alexander Wiegand mit bewegter Stimme, „wir haben uns die ganze Nacht über unsere Erlebnisse in der Gefangenschaft ausgetauscht.“ Manches Schreckliche, so gibt auch Dieter W. zu, hatte er verdrängt. Das ist auch ein Grund, warum der Nürnberger seinen wahren Namen für sich behalten möchte.
„Ich bin damals unschuldig ins tschechische Gefängnis in Pankratz gekommen“, erzählt er. Zu Pfingsten 1974 fuhr er mit seiner Tochter zu Verwandten über die DDR-Grenze nach Leipzig. Man traf sich in einem Hotel, wo W. seinen Reisepass an der Rezeption abgab, wie es üblich war. Als er nach ein paar schönen Tagen die Rückreise antrat, kündigten die Verwandten überraschend an, mit ihm über die Grenze zu wollen. W. schöpfte keinen Verdacht, doch beim Übergang wurden die Verwandten und auch W. aus dem Zug geholt. „Mir ist heiß geworden“, erinnert sich der Mann.
Mit vorgehaltenem Maschinengewehr musste W. warten, denn die Pässe der Verwandten, so stellte sich heraus, waren nachgemacht. Als Vorlage hatte offenbar sein Pass gedient, „aber ohne dass ich es wusste“. Seine Beteuerungen halfen nicht. An diesem 4. Juni 1974 wurde W. verhaftet und zwei Wochen lang verhört. Man setzte ihn psychologisch unter Druck, indem man ihn nachts unerwartet weckte, ihm immer dieselben Fragen stellte. Und ihn im Glauben ließ, „meine Tochter sei auch verhaftet worden“, erzählt er. Die jedoch hatte man längst über die Grenze gelassen.
Schließlich legte man ihm ein angebliches Protokoll seiner Antworten in tschechischer Sprache vor, das er unterschreiben sollte. W. willigte ein, und fand später vor Gericht heraus, dass er damit ein Geständnis unterschrieben hatte. W. protestierte, doch „man sagte mir: Gib es lieber zu, dann kriegst du fünf Jahre . Wenn nicht, unterstellst du den Behörden Betrug . . .“
Im Gefängnis in Pankratz lernte W. schließlich den Spediteurskaufmann Alexander Wiegand kennen. 130 Menschen hatte dieser mit spektakulären Aktionen aus dem Ostblock in die Bundesrepublik geschleust, bis man ihn bereits 1972 erwischte (wir berichteten). Um einen Gefängnisarzt zu schmieren, bat Wiegand ihn um 5000 D-Mark. „Ich frage mich heute noch“, sagt Würl, „wie ich dazu kam, ihm, einem wildfremden Menschen, so viel Geld zu geben. Ich hatte einfach Vertrauen und meine Menschenkenntnis hat sich bestätigt. Ich habe in den richtigen investiert.“
Mit dem Schmiergeld schaffte es Wiegand, in ein Krankenhaus verlegt zu werden, bis er am 1. September 1976 von dem damaligen Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher einen Pass und damit die Ausreise nach Deutschland bekam: „Sie sind jetzt wieder ein freier Mensch“, soll Genscher ihm bei der Übergabe gesagt haben.
Dieter W. kam bereits am 15. Juli 1975 raus und kehrte zu seiner Familie zurück. Er gründete eine Baufirma, die er nach 18 Jahren als Geschäftsführer verließ. Die furchtbare Zeit in Gefangenschaft hatte er lange versucht hinter sich zu lassen: „Ich kann keinem Tier etwas zuleide tun, aber die Gesichter meiner Wärter werde ich wohl nie vergessen.“