Mülheim. Warum die Bundesagentur für Arbeit in der kommenden Woche verstärkt für die Einstellung von Menschen mit Behinderung wirbt.

Heute ist der Welttag der Menschen mit Behinderung. An diesem von den UNO ausgerufenen Tag ist Integration in aller Munde. Doch wie klappt es im Alltag mit der Integration auf dem Arbeitsmarkt, wenn ein Mensch mit Handicap durchs Leben gehen muss.


Am 16. November berichtete die NRZ darüber, dass auch in Mülheim die Zahl der arbeitslosen Menschen mit Behinderung gegen dem allgemeinen Trend angestiegen ist, im Jahresvergleich um 45 auf jetzt 300. Die Gesamtzahl der Arbeitslosen sank, verglichen mit dem November 2010 um 700 auf jetzt 6591. Dabei zeigen prominente Beispiele wie das des im Rollstuhl sitzenden Bundesfinanzministers Wolfgang Schäuble, was Menschen mit Behinderung auch in Führungspositionen leisten können.

Differenziertes Bild

„An den Zahlen hat sich wenig geändert“, sagt Annett Schwoy, die sich beim Arbeitgeberservice der Bundesagentur für Arbeit um die Vermittlung von Menschen mit Behinderung bemüht. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Agentur im November immerhin sieben Schwerbehinderte in ein Arbeitsverhältnis vermitteln konnte. Damit die Quote besser wird, will die Agentur in der nächsten Woche eine Vermittlungsoffensive starten und bei Arbeitgebern verstärkt für die Einstellung von Behinderten werben.


„Wir stellen den Menschen und seine Vorzüge vor und versuchen deutlich zu machen, warum dieser Bewerber gut in die Firma passen könnte“, beschreibt Schwoy ihre Strategie. Aber sie weiß auch: „Spätestens beim Vorstellungsgespräch kommt auch die Behinderung zur Sprache.“

"Größere Offenheit für die Einstellung behinderter Bewerber"

Bei der Arbeitsplatzakquise macht sie unterschiedliche Erfahrungen. Sie hat es mit Arbeitgebern zu tun, „die sich mit dem Thema noch nicht beschäftigt haben“ und bei denen Ängste vorherrschen. Sie haben Angst davor, dass der behinderte Arbeitnehmer seine Leistung nicht bringen kann und später nicht mehr kündbar ist. „Zwar muss das Integrationsamt der Kündigung eines Schwerbehinderten zustimmen. Aber wenn ein Arbeitgeber betriebsbedingt oder aufgrund eines vertragswidrigen Verhaltens des Arbeitnehmers kündigen muss, gibt es keine Probleme,“ entkräftet Schwoy die Vorbehalte.

Sie spürt aber auch seit etwa einem halben Jahr eine „größere Offenheit für die Einstellung behinderter Bewerber“ und kennt „viele Unternehmer, die gerne Menschen mit Handicap einstellen, auch wenn sie ihre Quote von fünf Prozent erfüllt haben, weil sie in ihrer Arbeit auch einen sozialen Auftrag sehen.“ Gerne erinnert sie sich etwa an einen Handwerksbetrieb, der kürzlich einen jungen Mann mit geistiger Behinderung für Hilfsarbeiten einstellte.

Mut zum Mitarbeiter mit Handicap

Weniger Schwierigkeiten machen ihr die gut qualifizierten Bewerber. Größere Probleme sieht sie dagegen bei denen, „die in der Mitte des Lebens stehen und plötzlich umschulen müssen, weil sie nach einem Unfall oder durch eine Krankheit ihren alten Beruf nicht mehr ausüben können und neu anfangen müssen.“

Frank Spiller von der Fürsorgestelle macht Arbeitgebern Mut zum Mitarbeiter mit Handicap. „Wer sich über rechtliche Rahmenbedingungen und Fördermöglichkeiten informieren möchte, kann mich unter 455 50 62 anrufen oder sich auf der Internetseite des Landschaftsverbandes Rheinland unter www.lvr.de ein gutes Bild machen“, rät Spiller. Er weist Arbeitgeber auf die finanziellen Fördermöglichkeiten durch die Bundesagentur für Arbeit, die beim Sozialamt angesiedelte Fürsorgestelle und das Integrationsamt des Landschaftsverbandes hin. Hier können Unternehmer nicht nur Lohnkostenzuschüsse bekommen, sondern auch eine finanzielle Unterstützung für Hilfsmittel und Baumaßnahmen, die einen Arbeitsplatz behindertengerecht machen..

Verschiedene Hilfsmittel

Das fängt beim Spezialstuhl für Menschen mit Rückenleiden und einem Großbildschirm für sehbehinderte Mitarbeiter an, geht über Breilzeilen und Vorlesesoftware für Blinde und endet beim Gebärdendolmetscher für Gehörlose oder der Einrichtung einer Behindertentoilette. Spiller sieht es als ein positives Zeichen, dass in diesem Jahre 90 Unternehmen und fünf Arbeitnehmer Fördermittel in einer Gesamthöhe von 115 000 Euro abgerufen haben, während es 2010 nur 64 Arbeitgeber und vier Arbeitnehmer waren, die 105 000 Euro in Anspruch nahmen. Im letzten Jahr blieben so 165 000 Euro im Topf der Fürsorgestelle ungenutzt. In diesem Jahr sind es noch 135 000 Euro.

Alfons Bromkamp von der Geschäftsleitung des im Hafen ansässigen TAS-Callcenters ist ein Unternehmer, der gerne Schwerbehinderte einstellt und auch die damit verbundenen Fördermöglichkeiten in Anspruch nimmt, zu denen auch ein kostenfreies Probepraktikum gehört. 15 seiner 300 Mitarbeiter haben eine Behinderung. Sie sitzen zum Beispiel im Rollstuhl, haben eine Muskelerkrankung, sind geh- oder sehbehindert oder auch schwerhörig.

Quote erfüllt

„Wir haben unsere Schwerbehindertenquote von fünf Prozent erfüllt, aber wir wollen mehr“, sagt Bromkamp. Denn er weiß inzwischen, dass es für fast jedes Handicap ein Hilfsmittel gibt, das Defizite so ausgleicht, dass auch behinderte Mitarbeiter ungehindert ihre Arbeit tun können. Bromkamp kennt deren hohe Motivation: „Sie lieben ihre Arbeit, weil sie das Gefühl haben, Teil des Spiels zu sein, und ihr Geld lieber selbst verdienen, als es von einer Behörde zu bekommen.“ Und spätestens seit einem schweren Unfall, den er glücklichweise unverletzt überlebte, weiß er, „wie schnell man von einem Tag auf den anderen behindert sein kann.“ Deshalb hat er auch mit sechs Callcenter-Unternehmen in NRW und der Bundesagentur für Arbeit ein Projekt gestartet, um mehr Menschen mit Behinderung langfristig in Ausbildung und Arbeit zu bringen.