Bei der Bildung liegt Mülheim nur im Mittelfeld – so steht es wenigstens im Deutschen Lernatlas 2011. In der Studie untersucht die Bertelsmann-Stiftung bundesweit die Lernbedingungen, und Mülheim belegt bei den kleinen und mittleren kreisfreien Städten als beste Revierstadt Platz 33 von 56. Sieger in dieser Größenordnung ist Erlangen, eine bayrische 100 000-Einwohner-Stadt mit einer Arbeitslosenquote von 3,5 %. Die Sinnhaftigkeit solcher Vergleiche besprach WAZ-Mitarbeiterin Julia Blättgen mit dem Mülheimer Wirtschaftspädagogen Prof. Dr. Ulrich van Lith.
Was kann man aus Bildungsstudien, wie dem Deutschen Lernatlas, lernen?
Prof. Dr. Ulrich van Lith: Durch all die Studien werden die Strukturen, unter denen junge Menschen lernen, in die Diskussion gebracht. Das ist grundsätzlich gut. Aber dabei werden Äpfel mit Apfelsinen verglichen. Natürlich lässt sich Mülheim nicht mit Erlangen vergleichen. Schüler gehen in den Städten mit anderen Voraussetzungen in die Schule.
Im Lernatlas wird neben schulischem Lernen auch berufliches, soziales und persönliches bewertet. . .
Dennoch beeinflussen die Pisa-Zahlen diese Studie zu zwei Dritteln, und sonst schlägt vor allem die wirtschaftliche Stärke durch. Es wird auch die Infrastruktur, wie Volkshochschulen, beschrieben, aber nur in dem Maße, in dem zufällige Daten vorliegen. Auch da hat man im Ruhrgebiet spezielle Bedingungen. Man ist schnell in Essen, Duisburg, Oberhausen, kann die dortigen Angebote auch nutzen. Das schlägt sich aber nicht nieder.
Es gibt so viele Studien; welches Ergebnis stimmt denn?
Stimmt, es gibt eine Vielzahl von Studien und Bildungsberichten, die auf Hochglanz erstellt werden. . . Und letztlich wird auf großen Konferenzen beklagt, dass niemand sie liest. Sie kosten so viel Geld und haben kaum einen Effekt. Besser, als diese Beschäftigungstherapie für Wissenschaftler wäre es, den Schulen das Geld zu geben. Ich vertrete schon seit Jahren die Meinung, dass Schulen am besten selbst für Transparenz sorgen. Das hilft auch den Eltern am meisten.
Ein Aspekt dieser Transparenz sind Schulprofile. Doch die sind häufig so umfangreich, dass sie für Eltern kaum erhellend sind. . .
Das ist besser geworden. Vor 15 Jahren fing das an mit den Schulprofilen, und da waren das noch regelrechte Seminararbeiten. Für viele Lehrer ist es ein Problem, zwischen kurzen, knappen Infos und Abhandlungen über pädagogische Arbeitsweisen zu unterscheiden. Aber da muss noch mehr kommen.
Sollten sich Lehrer nicht lieber aufs Unterrichten konzentrieren, als Schulprofile zu erarbeiten?
Ich als Lehrer muss mir Ziele setzen, die ich erreichen will, um ein bestimmtes Niveau zu erreichen. Wenn ich diese Ziele veröffentliche, wenn ich mich nach außen verpflichte, Leistung zu verbessern, ist das auch eine Reflexion meiner Arbeit. Dazu muss ich natürlich eine gewisse Trägheit überwinden, weil die Öffentlichkeit so bestimmte Dinge einfordern kann.
Halten Sie Lernstandserhebungen da für ein geeignetes Kontrollinstrument, ob diese Ziele erreicht werden?
Ich würde nicht ganz darauf verzichten, aber ich würde aufhören, die Ergebnisse so in den Vordergrund zu stellen. Wichtiger als Lernstandserhebungen ist die Profilierung, denn nur so erzeuge ich Qualität. Es ist wichtig, nicht nur den Unterricht abzuspulen, sondern über die eigene Arbeit hinaus über unser Schulsystem zu reflektieren. Statt zu vergleichen, muss ich überlegen, wie ich die Lernbedingungen verbessern kann – unter den Bedingungen, die ich vorfinde.