Mülheim. .

Ärztemangel droht! Diese Warnung, die seit zwei, drei Jahren durch die Lande geistert, sei längst Realität, sagt der Vorsitzende der Ärztekammer in Mülheim, Uwe Brock – und das nicht nur in ländlichen Regionen, sondern auch in den Großstädten, gerade auch in Mülheim. Zum ersten Mal liegt jetzt eine Analyse vor, aus der hervorgeht, dass gerade Städte wie Mülheim, Essen, Duisburg und Oberhausen schon jetzt einen deutlichen Mangel an Hausärzten verkraften müssen.

Zum ersten Mal wurde jetzt darauf geschaut, wie hoch die Behandlungsfall-Zahlen der Hausärzte sind. Danach weisen lediglich 35 Prozent der Praxen in Mülheim eine unterdurchschnittliche oder durchschnittliche Praxisgröße auf, das heißt: Dort werden im Quartal bis zu 850 Patienten betreut. Zwischen 850 und 1275 Patienten betreuen nahezu 50 Prozent der Praxen, und immerhin 15 Prozent der insgesamt 96 Hausärzte müssen über 150 Prozent des Durchschnitts leisten, bedeutet: über 1275 Patienten im Quartal behandeln, wobei völlig offen ist, ob der Kranke einmal oder zehn Mal die Praxis aufsucht.

Bisher, so Brock, hieß es jedoch immer, Mülheim sei mit Hausärzten überbesetzt. Der Grund dafür: Nicht der Krankenstand oder die Altersstruktur, und damit auch die Zahl der Patienten wurde als Maßstab genommen, sondern schlicht die Einwohnerzahl.

Danach sähe die Versorgungsquote in Mülheim gut aus, trifft aber eben nicht die Realität im Wartezimmer, wie die Ärztekammer betont. Sie verweist auf andere Regionen des Landes, etwa auf Düsseldorf oder auf Köln, wo die Versorgung mit Hausärzten deutlich besser aussieht, weil sich viel weniger Patienten einen Arzt teilen müssen.

Gerade das Ruhrgebiet, in dem viele Menschen ein sehr hartes Arbeitsleben hinter sich haben, in dem viele ältere Menschen leben und zudem viele Migranten, braucht man aus Sicht der Ärztekammer mehr Hausärzte, um eine gute Versorgung zu gewährleisten.

Doch statt dessen fürchtet Uwe Brock, dass sich die Lage in den kommenden Jahren noch weiter verschärfen wird. Mehrere Gründe spielen dabei eine Rolle:

Nicht nur die Bevölkerung in Mülheim gehört zu den ältesten im Land, sondern auch viele Hausärzte haben schon das 60. Lebensjahr überschritten. Bereits 2016 könnte fast jeder fünfte Hausarzt in den Ruhestand gehen, wenn er nicht über die Altersgrenze hinaus weiter praktiziert. In den meisten Großstädten sieht es ähnlich oder sogar noch ungünstiger aus.

Zu ersetzen sind die ausscheidenden Mediziner nach jetzigem Stand nicht. 250 ausscheidenden Hausärzten im Kreis Nordrhein stehen nur 100 Nachwuchskräfte gegenüber. Ein dickes Minus. Ein weiteres gibt es in der Bilanz der Zu- und Abwanderungen: Jährlich, so die Kammer, verlassen etwa 3300 Jungärzte Deutschland, um im benachbarten Ausland zu arbeiten, vor allem aus Osteuropa wandern 2700 Mediziner im Gegenzug ein.

Brock nennt den Mediziner-Markt einen Tanker, der nur sehr langsam zu wenden ist. „Wenn wir jetzt an den Hochschulen auf verstärkte Ausbildung setzen, stehen uns die nötigen Fachärzte erst 2022 zur Verfügung.“ Der Kammervorsitzende sieht inzwischen gar das Solidarsystem in Gefahr: „Der Andrang auf die verbleibenden Praxen wird zunehmen, doch viele Mediziner dort sind längst am Ende ihrer Möglichkeiten.“ Brock glaubt, dass vermehrt Patienten, die es sich leisten können, ihre Behandlung privat zahlen und sich so einen Vorteil, sichern. In mancher Gegend könnte der Hausarzt-Sitz bei 37 € pro Patient und Quartal immer unwirtschaftlicher werden, wenn die Privat-Patienten fehlen.

Lösungen? Schnelle sieht auch der Vorsitzende der Ärztekammer nicht. Der Verteilung der Hausärzte nach Bedarf wäre ein erster Schritt, darüber wird der Bundestag in Kürze befinden. Doch die Umsetzung würde noch lange dauern. Mehr Anreize müssten für den Hausarzt gegeben werden. Eine alte Forderung, wie die nach weniger Bürokratie in den Praxen. Bei all dem, so Brock, gehe es nicht in erster Linie um die Ärzte, sondern um die Patienten.