Fast jede zehnte Krankmeldung bezieht sich in Mülheim auf psychische Erkrankungen. Ein Blick auf den Krankenstand
Mülheims Arbeitnehmer feiern weniger krank als zuvor. Das stellt die Krankenkasse AOK fest: In den ersten sechs Monaten dieses Jahres sei der Krankenstand in den heimischen Betrieben gegenläufig zum Bundestrend nicht angestiegen.
Das heißt nicht, dass die Mülheimer überdurchschnittlich gesund sind: 5,69 % der AOK-Versicherten konnten in den ersten sechs Monaten dieses Jahres wegen Krankheit nicht arbeiten. Zum Vergleich: Bei den Kölner und Bonner Arbeitnehmern waren es unter 5 % – regionaler Bestwert.
Die DAK kann bisher nur für 2008 gesicherte Zahlen angeben, die wegen einer anderen Versicherungsstruktur (Sprecher Rainer Lange verweist hier auf „weniger körperlich arbeitende Versicherte”) anders ausfallen als bei der AOK, in den Relationen aber gleich bleiben: Auch hier liegt Mülheim zusammen mit der Region Essen mit 3,2 % im Mittelfeld. Düsseldorf und Köln haben mit 2,6 % und 2,8 % die wenigsten Krankgeschriebenen, die unrühmliche Spitze bilden Gelsenkirchen/Bottrop mit 4,3 % und Recklinghausen mit 4,2 %.
Laut AOK kamen in Mülheim im ersten Halbjahr durchschnittlich 96 Fehltage auf 100 Arbeitnehmer – bei Männern waren es 72 Fehltage, bei Frauen 130.
Die Ursachen für die Krankmeldungen erläutert Volkmar Fleischer, Marketingleiter der Regionaldirektion der AOK: „28 % aller Krankheitstage entstehen aufgrund von Muskel- und Skeletterkrankungen.” Platz zwei belegen Atemwegserkrankungen, darauf folgen mit 12 % Unfälle im privaten oder beruflichen Umfeld. Danach kommen schon psychische Erkrankungen: 9,3 % aller Krankmeldungen von Mülheimer AOK-Versicherten hatten dies zur Ursache. Diese Art der Erkrankung sorgt mit durchschnittlich 25 Fehltagen für das längste Fernbleiben vom Arbeitsplatz.
Psychische Instabilität beklagen Arbeitnehmer in den letzten Jahren immer häufiger. Seit 2005 haben psychische Erkrankungen gar um 22 Prozent zugenommen. „Stress im Unternehmen” ist laut Andre´ Maßmann, Sprecher der AOK Rheinland/Hamburg, häufige Ursache. Auch Rainer Lange, Sprecher der DAK, nennt „Leistungsdruck im Berufsleben” als einen der Hauptgründe. „Zunehmende Burnout-Erkrankungen, zum Beispiel bei Lehrern, sind ja bekannt.”
Immer öfter wird deshalb zu Aufputschmitteln gegriffen: Ein bis zwei Prozent der Erwerbstätigen nähmen regelmäßig Mittel ein, um „im Job fitter zu sein”, so ergab eine DAK-Umfrage. „Derzeit ist der Griff zum Doping zwar nicht besorgniserregend, muss jedoch beobachtet werden.”
Häufig dafür missbrauchte Medikamente sind laut Krankenkasse beispielsweise Methylphenidate wie „Ritalin”, die eigentlich gegen Aufmerksamkeitsstörungen helfen sollen; Berufstätige nehmen sie, um sich im Job besser konzentrieren zu können und leistungsfähiger zu sein. Auch Modafinile wie „Vigil” werden zweckentfremdet. Eigentlich sollen sie gegen die Schlafkrankheit wirken, im Job halten sie wach.
Beim „Arbeitnehmerdoping” gibt es übrigens einen bedeutsamen Geschlechterunterschied: „Männer frisieren ihre Leistungsfähigkeit, Frauen nehmen eher Stimmungsaufheller”, so Rainer Lange. Aber: „Immer perfekt sein zu müssen, lässt sich auch durch Medikamente nicht erfüllen.”
Statt dessen gibt es andere Möglichkeiten, mit Stress und psychischem Druck umzugehen: Die DAK bietet unter anderem Yoga- und Entspannungskurse an, auch Kurse zur Suchtprävention. Die AOK engagiert sich mit kostenlosen Entspannungsangeboten und unterstützt mit ihrem „Institut für betriebliche Gesundheitsförderung” Arbeitgeber bei der gesundheitlichen Betreuung der Mitarbeiter.