Mal Hand aufs Herz. Haben wir nicht alle ein bisschen was von einem weißen Hasen in uns? Der muss ja nicht gleich 2,01 Meter groß und allgegenwärtig sein...

An Macken und nicht zuletzt an die Menschlichkeit appelliert das Backstein-Theater auf amüsante Weise mit der Komödie „Mein Freund Harvey”. Damit gelang der Autorin Mary Chase 1944 der Durchbruch. 1775 Mal war das Stück um den schrulligen Elwood P. Dowd und seinen Freund, den unsichtbaren Hasen Harvey, am New Yorker Broadway zu sehen. In späteren Verfilmungen glänzten James Stewart und Harald Juhnke in der Hauptrolle.

Und auch bei der Großen Bühne des Backstein Theaters hat das Stück in der Regie von Michael Bohn das Zeug dazu, ein echter Renner zu werden.

Auf der Bühne im Kasino des Ev. Krankenhauses hat man dem imaginären Hasen ein Nest auf goldenen Sitzkissen auf der roten Couch bereitet. Frisch und humorig rüber bringt das Amateur-Theater die turbulente Geschichte um den Hasen von Mr. Dowd, dessen Schwester Veta, die ihre Tochter Myrtle Mae gut verheiraten will, und das ganze Psycho-Team in der Klapse.

Nah am Publikum

Herrlich überspannt spielt Annegret Hartmann Veta Louise Simmons mit hochnäsiger Arroganz: „Mit einem großen weißen Hasen am Tisch verliert man den Appetit”, versucht sie dem akademisch-blasierten Psychiater Sanderson (Wolfgang Bäcker) die Einweisung ihres Bruders schmackhaft zu machen. Schließlich will sie sich dessen Erbschaft für sich und Tochter „Mörteeel Määä” an Land ziehen. Unerschrocken, nah am Publikum gibt Carolin Fleuren lispelnd diese flatterhafte, hyperaktive Tochter mit gesteigertem präpubertären Flirt-Drang.

Von all der Strippenzieherei hinter seinem Rücken ahnt Elwood P. Dowd nichts. Er ist ein Träumer, ein Lebemann, der seine Zeit am liebsten in Charley's Bar verbringt. Klar, dass er seinem Freund Harvey immer den Platz an seiner Seite freihält. Authentisch schlüpft Ralf Grossmann in die Rolle des naiven Depps mit entgeistertem Blick, den alle für verrückt halten.

Doch wer ist in diesem Stück wirklich verrückt oder wer ist ganz „normal”? Das ist schlussendlich nur schwer auszumachen. „Menschen sind nun einmal Menschen und somit Irrtümern unterworfen”, sagt der Psychiater und weist jemand ganz anderen in die Klapse ein. Und weil Ärzte auch nur Männer sind, lässt sich Dr. Sanderson nur allzugern von Oberschwester Kelly (Claudia Kenning) „behandeln”.

Dagegen behält Professoren-Gattin (Ursula Bönte, die in einer Doppelrolle zu sehen ist) mit robustem Humor und Resolutheit den Durchblick.

Großer Beifall am Schluss

Amüsiert und beherzt gingen die Zuschauer bei dieser Komödie über zwei Stunden lang mit. Zwischendurch gab es immer mal wieder spontanen Applaus und großen Beifall am Schluss.

Vermutlich werden sich die wenigsten einen symbolischen weißen Hasen anschaffen, doch der eine oder andere Besucher wird über den Satz von Elwood P. Dowd nachdenken: „Ich habe mich vierzig Jahre mit der Wirklichkeit herumgeschlagen. Aber ich bin glücklich, dass ich sie schließlich überwunden habe.”