Mülheim.

Dank Änderung des Paragrafen 76 in der NRW-Gemeindeordnung hofft Kämmerer Uwe Bonan, die Stadt 2012 aus den Fesseln des Nothaushaltsrechts befreien zu können. Bonan präsentierte gestern den Entwurf eines Haushaltsplanes, der bei der Kommunalaufsicht in Düsseldorf mit der Prognose punkten soll, dass die Stadt im Jahr 2020 nur so viel Geld ausgibt, wie sie auch einnimmt.

Bonans Agenda 2020 profitiert von jenem Paragrafen 76. Demnach müssen klamme Städte fortan einen Haushaltsausgleich nicht mehr innerhalb von vier, sondern von zehn Jahren darstellen, um ihren Etat genehmigt zu bekommen und so nicht bei freiwilligen Leistungen und Investitionen beschränkt zu sein.

Nach altem Recht, das machte Bonan gestern klar, wäre besagter Haushaltsausgleich nie und nimmer theoretisch möglich, auch nicht, wenn alle bereits im Vorjahr beschlossenen 194 Punkte aus dem Konzept zur Haushaltskonsolidierung erfolgreich umgesetzt seien. „Wir haben weiter sehr unruhiges Fahrwasser und müssen sehen, wie wir das Schiff Stadtverwaltung auf Kurs bringen“, sagte er.

Nachdem schon für dieses Jahr ein rekordverdächtiges Defizit von 118,5 Mio Euro erwartet wird, plant Bonan für 2012 bei Gesamtaufwendungen in Höhe von knapp 600 Mio Euro mit einem Fehlbetrag von 74,3 Mio Euro. Das ist noch mal eine Verschlechterung im Vergleich zur letzten Finanzplanung um fast 30 Mio Euro.

Bonan erklärt dies insbesondere mit der weit unter den Erwartungen bleibenden Gewerbesteuereinnahmen (insgesamt 129,6 Mio Euro). Auch die sinkende RWE-Dividende, der durch die letzte Tarifrunde, den Ausbau der U3-Betreuung und der Offenen Ganztagsschule Personalmehraufwand und (noch) nicht realisierte Konsolidierungsprojekte (A 40-Starenkasten, MVG-Einsparung, Verkauf freigezogener Schulgebäude) mache sich negativ bemerkbar.

Bonan singt das altbekannte Lied: Die Finanzausstattung reiche einfach nicht, um die Pflichtaufgaben zu bestreiten. So werde man im Vergleich zum Jahr 2007 35 Mio Euro weniger allgemeine Deckungsmittel zur Verfügung haben (-12,2 %); im gleichen Zeitraum seien die Ausgaben im Sozialamt und im Amt für Kinder, Jugend und Familie um 22,3 % gestiegen (Grundsicherung, Kosten der Unterkunft, U3-Betreuung, Ganztagsschule). Die klaffende Lücke sei rund 64 Mio Euro groß. „Das sind keine Großprojekte oder Verschwendung“, so Bonan, „sondern Dinge, die wir nicht beeinflussen können.“

So rückt die Überschuldung Mülheims in großen Schritten näher. Immer größer wird das Volumen an Krediten, die die Stadt alleine dafür aufnehmen muss, um das laufende Geschäft zu stemmen. Waren noch im Jahr 2002 Kassenkredite in Höhe von „nur“ 63 Mio Euro nötig, so waren es Ende 2010 schon 499 Mio Euro. Ende Dezember sollen es schon 605 Mio sein, 2015 dann gar 855 Mio Euro. Zusammen mit den langfristigen Verbindlichkeiten ist die Milliarden-Euro-Schallmauer längst durchbrochen. Ende des Jahres wird in Mülheim rein rechnerisch jeder der 168 000 Bürger mit rund 6280 Euro in der Kreide stehen.

Wie gegensteuern? Bonan jedenfalls hat von sich aus nicht die verworfenen Ideen der letzten Etatrunde wieder herausgekramt. Freilich könnten Politik, auch die Bürgerbeteiligung, jene Punkte wieder in die Diskussion bringen – ob es die Zuschüsse an Vereine oder Verbände seien, eine Pferde- und Übernachtungssteuer oder die seinerzeit heiß diskutierten Kürzungen im Kulturbereich.

Bonan baut seinen Haushaltsausgleich 2020 auf vier Säulen auf:

Verwaltung: Hier sollen bis dahin strukturell Personal- und Sachaufwendungen um 6,1 Mio Euro sinken. Das Paket zum Personalabbau ist in der Mache. Rund 400 Interessenten in der Belegschaft können sich vorstellen, vorzeitig aus dem Dienst zu scheiden. 3 Mio Euro stehen bereit, um ihnen den Ausstieg schmackhaft zu machen.

Stadttöchter: Die Wohnungsgesellschaft SWB soll im Jahr 2020 eine Gewinnausschüttung von 0,5 Mio Euro leisten. Der MVG wird ein struktureller Konsolidierungsbeitrag von 3,5 Mio Euro abverlangt – unter anderem durch den Ersatz verschiedener Straßenbahn- durch Buslinien.

Landeshilfe: Bonan geht davon aus, dass Mülheim spätestens 2016 Mittel aus dem „Stärkungspakt Stadtfinanzen“ des Landes erhält. 6,5 Mio Euro sind einkalkuliert.

Steuererhöhung: Abhängig von der Landeshilfe will Bonan eine weitere Anhebung der Hebesätze von Grund- und Gewerbesteuer im Jahr 2016 machen. Das Maß sind die aktuellen Spitzensätze in NRW-Kommunen: Der Grundsteuer-Hebesatz könnte von 530 auf 590 % steigen, der der Gewerbesteuer von 480 auf 490 %.