Mülheim. .
Ein entspannter Arbeitstag sieht selbst nach den Maßgaben einer erfahrenen Wahlbeamtin anders aus.
Am Donnerstag entscheidet der Stadtrat in einer Sitzung ohne Aussprache nach 16 Jahren über Bestätigung oder Abwahl der 51-jährigen Grünen im Planungs- und Umweltdezernat. Wie kaum anders zu erwarten, haben die Fraktionen den Poker am Mittwoch auf die Spitze getrieben. Wie das Ringen in letzter Minute ausgeht? Die Antworten variierten von „offen“ über „unklar“ bis „völlig offen“. Sander weiß darum und sie weiß auch, dass sie mit dem Ergebnis leben kann. So oder so.
Das liegt nicht allein an dem jährlichen Übergangsgeld (bis Renteneintritt) von 55000 Euro, auf das sie nach all den Dienstjahren Anspruch hat. Sander kennt auch die Interessenslagen der Parteien, die sich bis Donnerstagnachmittag um 16 Uhr zu einem Beschluss verdichten müssen.
Die Oberbürgermeisterin: Dagmar Mühlenfeld hat als Dienstvorgesetzte einen guten Draht zu Sander und sie schließlich auch formal zur Wiederwahl vorgeschlagen. Mühlenfeld würde heute für sie stimmen, wenn es zum Schwur käme.
Die Grünen: Die Meinung zu Sander innerhalb der Grünen ist gespalten. Aus der Partei heraus erfährt sie viel Kritik, aus der Fraktion weniger. Die Überlegung, mit Sander - oder einem grünen Nachfolger - Gewicht und Einfluss in zentralen grünen Fragen zu haben, lässt dennoch kaum Spielraum für Verhandlungsmasse. Findet die Fraktion. Zugeständnisse für eine Stimmenmehrheit? Kommt eher nicht in Frage. Am heutigen Tag der Entscheidung ist der Spielraum für Fraktionssprecher Tim Giesbert daher sehr begrenzt.
Die CDU: Zwei Ziele hat die CDU. Erstens, Helga Sander abwählen. Zweitens, Peter Vermeulen absichern, den Dezernenten für Schuld, Jugend und Kultur. Erstaunlich dabei: das erste ist wichtiger als das zweite; zumindest, wenn Vermeulen im Verwaltungsvorstand verbleibt - zum Beispiel als Nachfolger von Helga Sander. Der Charme dieser Variante: Ein Dezernent, so wie im vorigen Herbst pauschal beschlossen, würde eingespart, Vermeulens Einfluss eher größer als kleiner. Das Problem: Für eine solche Lösung bräuchte die CDU, das war gestern Abend auch Konsens im Fraktionsvorstand, aufgrund der Mehrheitsverhältnisse...
Die SPD: Die wiederum hat, wie berichtet, vor allem ein Ziel: Uwe Bonan als Stadtkämmerer abzusichern. Denn ist bis zu dessen Wiederwahl 2014 kein Dezernent eingespart, träfe es den Haushaltsfachmann. Eine Einigung mit der CDU über eine Personalrochade wäre für die SPD tragbar - aber nicht um jeden Preis. Die SPD-Fraktion gab gestern Abend ihrem Vorsitzenden Dieter Wiechering freie Hand für finale Gespräche mit allen Beteiligten - vorausgesetzt, ein Personalpaket wird heute und verbindlich geschnürt. Für Vertrauensvorschuss gebe es nach den Verletzungen der Bildungsdebatte keinen Anlass mehr.
Die FDP: Dass die Liberalen noch Teil der Lösung sein können, gilt als unwahrscheinlich. Sie wollen Helga Sander eigentlich nicht wählen, haben aber andererseits wie berichtet die Ja-Latte in Verhandlungen mit SPD und Grünen zu hoch gelegt. Ein Bürgermeister für die FDP und obendrein ein Dezernat? Mit den Grünen nicht zu machen.
Die MBI: Lothar Reinhard hat sich erstaunlich früh festgelegt. Nein zu Helga Sander, allein schon wegen angeblicher Betonpolitik, wegen Ruhrbania und Fehlplanungen... Dass ein möglicher Planungsdezernent Vermeulen der MBI in die Karten spielen könnte, ist indes noch unwahrscheinlicher. Auch Reinhard wird heute sehr früh auf den Beinen und telefonisch jederzeit erreichbar sein. Die Frage ist: wofür?
Die Linken/WIR-Linke: Haben sich im Grunde alle Optionen offen gehalten, sieht man einmal davon ab, dass Gerhard Schweizerhof (WIR/Linke) gegen Helga Sander stimmen wird. Bleiben drei Sitze, die wichtig werden könnten. Und: Von Zugeständnissen war am linken Flügel des Rathauses bislang keine Rede. Das könnte noch relevant werden.
Unterm Strich ist mehr offen, als nervenschwachen Stadtverordneten lieb ist. Selbst, ob es noch zu einer formalen Abstimmung kommen muss, ist unklar. Beschließt der Rat auf Antrag vorab eine andere Geschäftsverteilung, wäre ein Wahlgang überflüssig und Sander geräuschlos und ohne die Blessur einer Niederlage raus aus dem Amt.
Klar ist nur eins: Die Entscheidung ist mehr als eine Personalie; sie stellt für acht Jahre und damit über zwei Wahlperioden des Rates hinweg, wichtige Weichen. Zumindest darin sind sich alle Unterhändler einig. und genau deswegen ist die Frage auch bis zum Schluss: offen.