Mülheim. .

Das fängt ja gut an: „Und wie komme ich jetzt in die Fußgängerzone?“, fragt jemand in der Häuserschlucht vor dem Technischen Rathaus. Nachdenkliche Gesichter, dann die Lösung: Erst zwischen Hochhäusern durch, Treppe hoch, links durch das Forum, drinnen Rolltreppe runter oder rechts zum Kurt-Schumacher-Platz. Wer war der Architekt dieser Stadt? Vielleicht Maurits Cornelis Escher?

Ursula Hardelt, Martin Neumann und Kurt Reinstein sind ausgezogen, um am Tag der Deutschen Einheit Schlimm-City kennen zu lernen: Die Stadtführer dieser Kunstkulturaktion – die Architekten vom Raumlabor Berlin -- wollen zu Fuß Ecken der Stadt erkunden, „die man normalerweise so nicht sieht“, kündigt „Laborant“ Andreas Krauth an, weil man im Alltag gradlinig unterwegs ist. Daher geht’s nun über Hinterhöfe, Nischen, abgelegene Pfade.

Hardelt und Neumann machte dies so neugierig, dass sie sogar aus Borken gekommen sind. Mülheim? Das ist für Neumann die Stadt mit den Sieben Siegeln: Einbahnstraßen, Überleger, Unterführungen, „man fährt zur Innenstadt ab und kommt in Duisburg raus...“, schüttelt er lächelnd den Kopf, „wie ein Labyrinth.“

Hoch über Mülheim – im 20. Stock des Technischen Rathauses, wo die Erben Eschers die Stadt planen – sieht die Welt anders aus. Die Stadterkunder treten raus auf den schmalen Grat zwischen Fassade und Geländer. Andreas Krauth vom Raumlabor erkennt genau, wo ein organischer Stadtkern auf eine technokratische Utopie prallt. Das Forum riegele sich von der Innenstadt ab. „Hier hat man eine Ideologie brutal umgesetzt“, fährt Krauths Finger entlang der Silhouette des Einkaufszentrums, „es zeigt der City quasi seine Rückseite.“

Nach Ansicht des Architekten wird in der Stadt zu viel gesteuert: Hier Autoverkehr, da Fußgänger, anderswo Radfahrer, „das führt aber zu Monotonie und Undurchlässigkeit.“ Ginge es nach ihm, müsste der Verkehr offener und gleichberechtigt organisiert werden. Also die Leineweberstraße weiter öffnen? „Warum nicht?“, sagt Krauth, „wenn in Rom Markt ist, nehmen die Autos darauf auch Rücksicht.“

Auf Nebenstraßen wandert die Gruppe durch Eppinghofen an die Bahnlinie, „wo sind wir hier?“, sucht Kurt Reinstein den Eppinghofer Bruch auf einer Karte, Winkhausen oder schon Heißen? Jedenfalls ein Stadtquartier mit architektonischen Brüchen sieht Krauth: Bahngleise, Garagen, verwachsene Hecken hinter denen man keine Häuser vermuten würde. Für den Architekten ist dies symptomatisch für die ganze Stadt: Ganz häufig stehen Zeilengebäude unmittelbar Einfamilienhäusern gegenüber oder treffen verwachsene Grundstücke auf fast amerikanische Vorgartenidylle. Mülheim ist damit also einzigartig? „Ja“, meint Krauth, „das habe ich bisher in keiner Stadt so gefunden.“