Mülheim. .

Vorgestern waren es sieben, am Freitagmorgen um halb zehn schon zwei – die Zahl der Kirchenaustritte in Mülheim nähert sich im September der 400er-Marke, 195 bei der katholischen, 197 bei der evangelischen Kirche. Dort traten allein 30 Menschen im September aus. So weiß es das Amtsgericht Mülheim.

Noch haben die aktuellen Zahlen zwar nicht die des Krisenjahres 2010 erreicht: Etwa 760 Menschen, davon 429 Katholiken, verließen damals die Gemeinden. 2009 waren es dagegen „nur“ 598 (277 Kath.). Der Trend scheint aber Normalität zu werden: Die Mülheimer Glaubensbasis bröckelt weiterhin.

„Jeder Austritt ist einer zu viel“, sieht Stadtdechant Michael Janßen die Entwicklung mit Sorge, auch wenn „die große Welle vorbei ist“. Missbrauchsfälle, Kritik am Zölibat, das Verhältnis der Kirche zur Homosexualität und zur Frau sind Gründe für Austritte, „am häufigsten aber spielt die Kirchensteuer eine Rolle“, sagt der Stadtdechant. Das werde aus den Antworten deutlich, die „Aussteiger“ geben, wenn sie von der Gemeinde angeschrieben werden.

Am häufigsten aber ist die Antwort: Schweigen. „Wir machen dennoch die Erfahrung, dass die Anschreiben wichtig sind“, so Janßen. Hätten wir mal vorher miteinander gesprochen, hieße es dann häufig. Die wenigsten kommen aber zurück: Die Zahl der Wiedereintritte im Jahr beträgt zwischen 20 und 25.

30 Austritte im September: Auch bei der evangelischen Kirche kämpft man um jeden einzelnen. Mit Aktionen zum Tauffest, Gemeindearbeit, „am meisten aber mit der Botschaft: Wir sind für dich da“, sagt Annika Lante, Pressesprecherin des Ev. Kirchenkreises. „Es bedarf aber vieler Anstöße und vor allem der Begegnung mit Menschen, die gläubig sind.“ Vorbilder.

Doch die Vorbilder fehlen zunehmend, ist Wolfgang Feldmann, Vorstand des Mülheimer Katholikenrates, überzeugt: „Schon im Elternhaus kommen Kinder nicht mehr in Berührung mit der Kirche.“ Doch die Krise sieht Feldmann nicht nur im Privaten, sondern auch in der Außendarstellung der katholischen Kirche: „Sie beruht auf Grundsätzen. Das ist gut. Aber wir müssen unsere Inhalte den Menschen näherbringen.“

Feldmann sieht die Kirche auf einem kritischen Kurs zwischen Lehre und Lebenswelt, den auch der Papstbesuch nicht kitten konnte: „Ich habe mehr Antworten erwartet etwa im Umgang der Kirche mit Missbrauch und in der Frage der Scheidung.“ Seine Hoffnung setzt Feldmann auf den Dialog zwischen Gemeinden und Bischofskonferenz: „Wir haben die Probleme in den Gemeinden und im Diözesanrat diskutiert. Ich erwarte, dass nun die Bischofskonferenz sie dem Papst vermittelt. Sonst war das Dialogangebot eine Farce.“

Stehen die Zeichen auf Wandel? „Ich hätte mir zwar auch mehr gewünscht“, sagt der Stadtdechant, aber man habe vom Papst zu viel erwarte. Er ist überzeugt: Es gibt schon jetzt mehr Spielraum im Kirchenalltag. „Kein Priester, den ich kenne, würde etwa unverschuldet Geschiedenen die Kommunion verweigern. Ich glaube sogar, auch der Papst würde in der pastoralen Situation nicht anders handeln.“