Mittlerweile kann man Alfred Beyer als Botschafter für Menschen mit Behinderung bezeichnen. Denn seit über 20 Jahren setzt sich der 69-Jährige für die Integration und Inklusion ein, hakt dort nach, wo die Belange Behinderter vernachlässigt werden und ist als Sprachrohr im Auftrag der Menschen mit Handicap im Einsatz – ehrenamtlich.

Nun bekam Alfred Beyer den „Förderpreis für ein gedeihliches Miteinander und gegenseitige Integration“ des Mülheimer Integrationsrates verliehen. Eine Auszeichnung, die ihm neue Motivation gibt. Für den oft kräftezehrenden Kampf gegen Barrieren.

Mit einem Summen öffnen sich die Türen der Geschäftsstelle des VBGS. Alfred Beyer sitzt am Tisch und spießt Tomatenbrot auf die Gabel – zum Essen ist er heute noch nicht gekommen. Zügig muss es gehen, in einer Stunde hat er den nächsten Termin. Der Vorsitzende des Vereins für Bewegungsförderung und Gesundheitssport hat viel zu tun, bleibt immer in Bewegung. Er verbringt viel Zeit in Sporthallen, im Schwimmbad, veranstaltet Feste und knüpft Kooperationen. In 20 Jahren ist so ein enges Netzwerk aus Vereinen, Schulen und der Stadt entstanden. 2009 bekam er für sein Engagement sogar das Bundesverdienstkreuz verliehen. Trotz des engen Terminplans lässt er sich nicht von der Uhr beeindrucken. Und kommt schnell zum Punkt, seiner Herzensangelegenheit: die Arbeit mit Kindern.

Als einziger Verein in Mülheim trainieren Alfred Beyer und die acht ehrenamtlichen Helfer des VBGS Behinderte und nicht Behinderte im Alter zwischen vier und 83 Jahren: Tanzen, Schwimmen, Gymnastik. „Alle trainieren zusammen, mit und ohne Behinderung oder Migrationshintergrund“, berichtet Beyer. Der Schwerpunkt liegt auf der Arbeit mit Kindern. 80 Prozent der Kinder, mit denen Beyer trainiert, haben einen Migrationshintergrund, viele von ihnen leiden unter Störungen der Motorik, verursacht durch Bewegungsmangel. „Einige können noch nicht einmal auf einem Bein hüpfen“, nennt Beyer ein Beispiel. „Wir arbeiten also vorbeugend gegen drohende Behinderungen an.“ Zur Zeit stünden 20 Kinder mit Migrationshintergrund auf der Warteliste für einen Schwimmkurs. Aber: „Wir haben in Mülheim einfach zu wenig Wasserfläche.“

Der Sport macht die eine Hälfte seiner ehrenamtlichen Arbeit aus. Daneben sitzt er auch der Arbeitsgemeinschaft der in der Behindertenarbeit tätigen Vereinigungen (AGB) vor. Denn in der Stadt gibt es einige Baustellen, die Beyer beackert. Ein Negativbeispiel erlebte er selbst vor einiger Zeit, als er - nach einer OP auf den Elektro-Rollstuhl angewiesen – von Speldorf in die Innenstadt wollte. „Erst fuhr der Bus an mir vorbei.“ Später musste er feststellen, dass nach 22 Uhr keine rollstuhlgerechten Taxis mehr fahren. Auf dem Rückweg erwies sich dann die Bahn als Hindernis. „Ich bin mit den Reifen zwischen Bahn und Trasse stecken geblieben.“ Nur mit Hilfe eines Bekannten konnte er sich befreien. „Im Nahverkehr gibt es einiges zu verbessern.“

Probleme gebe es zudem für Sehbehinderte auf der Schloßstraße. „Dort stehen zu viele Werbeständer im Weg.“ Trotz der Kritikpunkte – Beyer und seine Kollegen vom AGB haben bereits einige Barrieren abgebaut. Stolz zeigt sich der gelernte Raumausstatter über die „Checkliste für eine barrierefreie Gestaltung öffentlicher Gebäude“, die er zusammen mit der AGB verfasst hat. Mit dieser verpflichtet sich die Stadt, alle öffentliche Gebäude barrierefrei zu bauen. Doch seien immer wieder Kontrollen nötig, um dies durchzusetzen. „Im Medienhaus wurden die Aufzug-Tasten in der falschen Höhe angebracht, im neuen Rathaus gab es Mängel in den Behindertentoiletten.“ Doch Beyer ist präsent, auch wenn er aneckt: Er wacht, mahnt und kämpft für seine Lobby. Die ist groß, aber schwach – und umfasst nicht nur körperlich Behinderte, sondern auch alte Menschen, Seh- oder Hörgeschädigte.

Von der Politik würde er sich wünschen, dass sie weniger auf Prestige-Projekte setzt und mehr realistische Ziele vor Ort zu unterstützt. „Wir bekommen z.B. keine öffentlichen Mittel, sondern finanzieren unsere Arbeit ausschließlich mit Sponsorengeldern“, meint er. „Mit finanzieller Förderung könnten wir mehr erreichen.“ Und: „Damit am Ende auch die Stadt entlasten.“

Sein nächstes Projekt hat Beyer bereits in Planung. „Eine inklusive Veranstaltung, von Behinderten, für Nicht-Behinderte.“ Doch dafür fehlen dem Verein noch Sponsoren. „Immer weniger Unternehmen fördern lokales Engagement, sondern setzen auf Projekte im Ausland.“ Das findet er schade. Aufgeben kommt aber nicht in Frage, Beyer will weiter Unterstützer suchen – und immer in Bewegung bleiben.