„Wer Bernard Brink sagt, muss auch Schlimm-City sagen!“ Holger Bergmann schickt mit diesen Worten seinen „Protest-Zug“ in Richtung Innenstadt. Dem Künstlerischen Leiter des Ringlokschuppens folgen rund 250 Leute. Die Blaskapelle Schwarz-Rot Atemgold 09 vorne weg. Menschen mit Plakaten in den Händen mit Aufschriften wie „Raumhafen jetzt!“ oder „Free Poldi“ dahinter. Begleitet von der Polizei. In „Schlimm-City“ haben sie am Samstag zur Demo eingeladen.
Wofür oder wogegen? Das wurde nicht ganz klar – aber es hat Spaß gemacht und Leben in die Stadt gebracht. Das sollte reichen. Vom Ringlokschuppen zog der Zug über die Schloßbrücke, einmal um den Kaufhof rum, bis hin zur „De-Zentrale“, Ex-Ruhrbania-Büro.
Direkt neben den ehemaligen Nachteingang des Warenhauses. Eigentlich ein dunkler, düsterer Ort, an dem man sich nach Einbruch der Dunkelheit nicht freiwillig aufhält. Am Samstagabend sah das anders aus: Das Ruhrbania-Büro war bunt erleuchtet, Menschen saßen draußen auf dem Boden und unterhielten sich – und es wurde getanzt. Für einen zufällig vorbeikommenden Passanten dürfte das ein bizarres Schauspiel gewesen sein: Frauen und Männer, die ihre Hüften schwingen, die Hände in die Luft reißen, laut vor sich hin singen – laut aufschreien, wenn der nächste Hit ertönt.
Nur, da war überhaupt keine Musik zu hören. Bei näherem Hinschauen sollte dem Passanten etwas aufgefallen sein: Die Leute – die sich da so wild bewegen – haben Kopfhörer auf den Ohren. Interessant. Kopfhörer-Party nennt sich so etwas ganz einfach. Organisiert vom Café Zacher aus Bochum. Gegen Pfand konnten sich die Tanzwütigen einen Kopfhörer leihen und ihre eigene Party auf zwei Kanälen feiern. Wahlweise zu Rock- und Popsongs oder zu elektronischen Beats. Den Leuten hat’s gefallen. „Das ist irgendwie total lustig“, meint Lisa und sieht einen klaren Vorteil gegenüber einem normalen Disco-Besuch: „Man kann sich zwischendurch auch mal in Ruhe unterhalten.“
Die Atmosphäre am alten Kaufhof war entspannt. An der Bar in der „De-Zentrale“ gab es Mölmsch. Wer nicht gerade zur Köpfhörer-Musik tanzte, saß gemütlich auf einer Couch oder in den großen Sitzkissen. Die wenigen Leute, die an einem Samstagabend an dem normalerweise leeren Gebäude vorbei laufen, schauen sich die Sache neugierig an. Ein paar Jugendliche sieht man kurz darauf ebenfalls mit Kopfhörern auf den Ohren. Eine beeindruckende und bunte Szenerie. An diesem Samstag gab es auch im Dunkeln Leben an einer sonst so toten Ecke.
Außerhalb von Protest-Zug und Köpfhörer-Party war in „Schlimm-City“ am Wochenende noch mehr los. Samstagmittag trafen sich die Sportlichen zum Parkhauslauf im Parkhaus des Kaufhofes. In der „De-Zentrale“ präsentierte der Designer Hermann Rokkita seine Stadt-Utopien: Er stellt sich unter anderem vor, dass ein ausrangierter ICE auf der Eisenbahnbrücke zum Sprungbrett für Jung-Unternehmer wird (die WAZ berichtete). Cafés und kleine Läden auf der von ihm titulierten „Geilen Meile“ könnten laut Rokitta die Jugend des Ruhrgebietes nach Mülheim locken.