Mülheim.
Erneut herrscht Unruhe bei der Mülheimer Sozialholding. Diesmal geht es um 20 Pflegemitarbeiter aus Rumänien. „Praktikanten“, heißt es bei der Stadt. „Fachkräfte“, reklamiert die Gewerkschaft.
Zum 1. September haben elf Männer und neun Frauen aus Rumänien, allesamt ausgebildete Krankenpfleger(innen), jeweils Einzelzimmer mit Vollverpflegung im Haus Gracht bezogen. Nicht, um selber betreut zu werden, denn sie sind erst im Alter zwischen Mitte 20 und Mitte 40. Nein, sie arbeiten hier oder in einer der beiden anderen städtischen Senioreneinrichtungen.
Für sechs Monate sind sie täglich vier Stunden lang auf den Stationen im Einsatz, weitere vier Stunden bekommen sie Deutschunterricht, den die Awo erteilt. Monatlich 315 Euro erhalten die Männer und Frauen im Rahmen des Projektes, das „Examina: Pflegefachkräfte aus dem Ausland“ heißt. Am Freitag wurde es in einem eilig anberaumten Mediengespräch erläutert.
Das öffentliche Interesse an den Erklärungen des Mülheimer Sozialdezernenten Ulrich Ernst und von Hendrik Dönnebrink, Leiter der städtischen Beteiligungsholding, ist groß. Urlaubsbedingt abwesend: Heinz Rinas, Geschäftsführer der Mülheimer Sozialholding, zu der drei Senioreneinrichtungen gehören.
Man habe mittels überregionaler Zeitungsanzeigen examinierte Altenpfleger(innen) gesucht, sagt Dönnebrink, jedoch keine einzige Bewerbung erhalten. Derzeit sei der Stellenschlüssel zwar noch erfüllt („das verlangt auch die Pflegeaufsicht“), doch um die Fachquote dauerhaft zu sichern, habe man mit Partnern das Projekt aufgelegt. Eine „Qualifizierungsmaßnahme“, die die Teilnehmer, von denen einige etwas Deutsch sprechen, erst für die Tätigkeit im deutschen Pflegesystem fortbilden soll. Solange werden sie als „Praktikanten“ offiziell geführt.
Nach einem halben Jahr sollen die Rumänen die Qualifizierung mit einer Prüfung abschließen und – dies sei ihnen schriftlich zugesagt – zu Tariflöhnen angestellt werden. Sie würden entweder bei den städtischen Seniorenheimen beschäftigt oder an andere Einrichtungen vermittelt.
Von gewerkschaftlicher Seite wird das Modell kritisiert, und zwar „heftig“, wie Sylvia Bühler, Leiterin des zuständigen Landesfachbereiches bei Verdi, betont. Argument: „Die Kollegen sind ausgebildete Krankenpfleger und -schwestern.“ Ihr sogenanntes Praktikum sei nur ein „Deckmantel“ für die Beschäftigung zu weit untertariflicher Bezahlung.
Es sei keine Ausnahme, das neben Alten- auch Krankenpfleger gleichberechtigt in der Altenpflege arbeiten. Falls, so Sylvia Bühler weiter, in diesem Fall die Anerkennung als Fachkräfte nach deutschen Recht noch ausstehe, müssten die 20 Personen eine entsprechende Prüfung ablegen.
„Was sie aber ohne Zweifel jetzt schon sind: Pflegehilfskräfte. Und damit greift automatisch der Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde.“ Der Tariflohn, an den die Mülheimer Sozialholding eigentlich gebunden sei, liege in diesem Fall bei 10,39 Euro. Was derzeit den „Praktikanten“ für ihren Halbtags-Einsatz auf den Stationen gezahlt werde, hat Verdi ebenfalls ausgerechnet und kommt auf 3,62 Euro. Dass dafür Essen und Unterkunft frei sind, lässt Sylvia Bühler nicht gelten: „Kost und Logis dürfen auf den Mindestlohn nicht angerechnet werden.“ Vielmehr müsse den Mitarbeitern freigestellt sein, sich ein eigenes Zimmer zu suchen.
Während bei Verdi derzeit „geprüft“ wird, ob man gegen die Praxis vorgeht, kann sich Mülheims Sozialdezernent Ulrich Ernst die harsche Kritik der Gewerkschaft nur so erklären: „Ein Missverständnis“.
Die Grüne Ratsfraktion hat das Thema unterdessen auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung des Sozialausschusses am 18. November gehoben.
Nachwuchspflege - neun neue Azubis
Nicht nur aus dem Ausland sollen Pflegefachkräfte nachrücken, betont Henrik Dönnebrink, Chef der städtischen Beteiligungsholding: Auch die Zahl der neuen Ausbildungsverhältnisse habe man bei der Mülheimer Sozialholding von vier auf neun erhöht. Derzeit lernen dort 25 Leute.