Mülheim.. Immer mehr neue Frisörläden locken Kunden mit extremen Billigangeboten. Beschäftigte, so Branchenkenner, könnten von den Einnahmen kaum leben. Die Frisörschwemme sorge für Druck auf etablierte, konservativ kalkulierende Meisterbetriebe.

Sie sprießen seit Jahren auch in Mülheim wie Pilze aus dem Boden: neue Frisörläden, nicht selten versuchen sich die Neueinsteiger mit der Geiz-ist-geil-Mentalität einen Platz auf umkämpftem Terrain zu erobern. Ein Herrenhaarschnitt ist gar für 5,50 Euro zu haben. Für die Branche werden die Billigheimer zunehmend zum Problem.

Verdi schlägt Alarm, die Innung ist beunruhigt. Image und Wirtschaftlichkeit des Handwerks stehen auf dem Spiel.

Friseure sind nie lange arbeitslos

„Der Markt boomt“, stellt Katja Hübner fest. Die Sprecherin der Agentur für Arbeit redet aber nicht über Umsatzzuwächse, sondern über die Arbeitskräftenachfrage im Frisörhandwerk. „Frisöre sind nicht lange arbeitslos, vor allem dann, wenn sie sowohl Herren- als auch Damenfach beherrschen“, stellt sie fest.

Frisöre werden gesucht, trotz äußerst dürftiger Verdienstmöglichkeiten ist der Frisör- immer noch beliebter Ausbildungsberuf. Aktuell zählt die Agentur für Arbeit rund 190 Frisörbetriebe in Mülheim, die Innung kann derzeit nur auf Zahlen von 2008 zurückgreifen: Laut Innungsobermeister Ralf Wüste­feld gab es seinerzeit stadtweit erst 173 Betriebe mit 584 Beschäftigten. Binnen drei Jahren ist die Zahl der Betriebe folglich um 10 % gewachsen, während Mülheim und so das Kunden-Potenzial schrumpft.

Ungesunde Friseurschwemme

Wüstefeld sieht eine ungesunde Frisörschwemme. Bei einem Jahresumsatz von 14 Mio Euro bei Mülheimer Frisören (Stand 2008) komme ein durchschnittlicher Betrieb mit statistisch 3,3 Mitarbeitern auf gerade mal gut 6700 Euro Umsatz im Monat. Ziehe man davon das Gehalt der Mitarbeiter, Sozialversicherungsbeiträge und Fixkosten ab, sei schnell ersichtlich, dass im Schnitt wenig übrig bleibe für die Betreiber.

Ein Frisörsalon in der Innenstadt, 60 m2 groß, dürfte allein knapp 500 Euro Kaltmiete kosten. Allein um diese Kosten zu decken, gibt Wüstefeld zu bedenken, müssten schon 90 Herrenhaarschnitte zu 5,50 Euro an den Mann gebracht werden. Noch mal so viele seien nötig, um nur einen Lehrling halten zu können. Dem Obermeister ist es schleierhaft, „wie so etwas funktionieren soll“ bei rund 300 potenziellen Kunden pro Beschäftigtem in der Branche.

Der Markt ist übersättigt

Die Frisörschwemme sorge für Druck auf etablierte, konservativ kalkulierende Meisterbetriebe. Gleichwohl: In arger Not sieht der Obermeister diese nicht, Stammkunden sei Dank. Er glaubt auch, dass der Markt seiner Reinigungsfunktion gerecht werde. Wer – vielleicht auch aus mangelndem betriebswirtschaftlichen Wissen – Niedrigstpreise kalkuliere, sei doch meist schnell wieder von der Bildfläche verschwunden. Auch weil der Markt längst gesättigt sei.

Gerd Vatterot von der Gewerkschaft Verdi sieht das freilich anders: „Wenn der Markt das Problem lösen würde, hätten wir es ja nicht.“ Die Zustände im Frisörhandwerk betrachtet Vatterot „mit großer Sorge“. Preise unterhalb von 15 Euro für einen Trockenschnitt bei Herren seien ihm suspekt, weil damit Verdienste der Beschäftigten einhergingen, von denen sich nicht leben lasse, so der Verdi-Sekretär. Seit 2009 gilt im Frisörhandwerk ein allgemeinverbindlicher Tarifvertrag mit einem Mindestlohn von rund 7,50 Euro die Stunde, eine Frisörin mit Gesellenprüfung hat im Vollzeitjob am Ende des Monats 1500 Euro verdient; wohlgemerkt: brutto. „Das ist kein auskömmliches Einkommen“, sagt Vatterot, zudem gebe es unter den Arbeitgebern viele schwarze Schafe, die nicht mal den Tarif zahlten.

Tarifbrüchige an den Pranger stellen

Vatterot sieht das Frisör-Handwerk fortlaufend in der Abwärtsspirale. Auch der Innung müsse daran gelegen sein, gegen eine mögliche Instabilität der gesamten Branche und für die Pflege des Berufsbildes einzutreten. Gemeinsam könnten Verdi und Innung tarifbrüchige Arbeitgeber „an den Pranger stellen und für vernünftige Arbeitsbedingungen werben“.