Im Sprachcamp trainieren 16 Grundschulkinder ihre Sprachkompetenz mit klassischer Lektüre: die Schatzinsel

„Pa-li-sa-den-zaun”, Seeräuberkäptn John Silver hat ein schwieriges Wort gelernt, aber auch ein nützliches: „Er sieht aus wie angespitzte Bleistifte und schützt, damit keiner darüber klettert”, weiß der Schrecken der sieben Meere. Bleibt nur noch zu klären, ob John nicht lieber Jenny heißen möchte, denn der Anführer der Piratenbande ist ein 9-jähriges Mädchen namens Lina.

Lina und 15 weitere Mädchen und Jungen der Erich-Kästner Grundschule proben in den Ferien für das Theaterstück „Die Schatzinsel” und entdecken dabei ihren Wortschatz. „Sprachcamp” nennt sich das Angebot der VHS und des Kulturbetriebs. Und obwohl das Camp bereits zum vierten Mal stattfindet, kennen es vielleicht nicht alle: „14 Tage lang setzen sich die Kinder kompakt mit einer Lektüre auseinander”, erläutert Dirk Schneider vom Kulturbetrieb – „ganzheitlich mit allen Sinnen und auf sprachpädagogische Weise.”

Es werden keine Namen getanzt, wie man böse denken könnte, statt dessen wird viel gelesen – Robert Louis Stevensons Schatzinsel natürlich – und alles mit Sprachübungen in Form eines „Piraten-Logbuchs” begleitet. Dazwischen frühstückt man, spielt und isst Mittag. Und schließlich arbeiten Kinder, Theater- und Sprachpädagogen daran, aus der Lektüre einen kurzen dramatischen Stoff zu schneidern, der erstmalig am Samstag in der VHS aufgeführt wird. „Gemeinsam”, betont Projektleiterin Sibylle Wellfonder, denn die Nachwuchspiraten haben auch ihre eigene Vorstellung, was dazu gehört. Piraten sind schwer in.

Kira trägt zum Beispiel eine schicke blaue Jacke und dazu eine lockige pink-weiße Perücke, weil modebewusste Richter das so tragen: „Hier treiben sich in letzter Zeit finst're Gestalten herum”, munkelt die 10-Jährige. Der Text sitzt so perfekt wie das höchstrichterliche Haar. Und auch Ibrahim (10), der den Doktor spielt, gibt seine Zeile zum besten und raunt verschwörerisch: „Jim hat uns die ganze Geschichte erzählt.” Yusuf spielt dagegen einen blinden Piraten mit Sonnenbrille. „Es macht Spaß”, lacht der 10-Jährige, „ich schicke die anderen immer in die falsche Richtung.”

Doch: Ist pauken in den Ferien nicht blöd? „Nöö!” – protestieren 16 Kinder einhellig. „Wo steht das später, wenn Sie das geschrieben haben?”, fragt Lina. „In der WAZ.” „Dann muss ich die morgen unbedingt lesen”, freut sie sich. Wenn das Interesse am Lesen nicht schon ein Erfolg ist. Übrigens: Hallo Käptn Lina und alle anderen Piraten!

Das Erfolgserlebnis ist wichtig für die Kinder, „sie arbeiten hier in einem wertungsfreien Raum”, so Karin Braun vom Kulturbetrieb, „und erleben, was sie alles können.” Denn das Sprachcamp wählt gezielt Kinder aus, die es schwerer haben als andere und sich in der Schule als „defizitbehaftet” erleben – häufig führt dies auf das Abstellgleis, dazu haben viele von ihnen einen Migrationshintergrund. „Die Theateraufführung ist auch wichtig für Lehrer und Eltern”, betont Braun, die nun sehen, was ihre Schüler leisten können. „Vielleicht ist es sogar gut, dass der Lernort so 'extraterrestrisch' ist”, überlegt Schneider und meint: außerhalb des 'normalen' Schulsystems. Denn in der Schule lassen sich Camps allenfalls in Projektwochen durchführen: zu starr ist das Unterrichtsraster. „VHS und Kulturbetrieb leisten hier eine genuine Bildungsarbeit”, wirbt Schneider. Weitere sieben Camps wird die Stinnes-Stiftung finanzieren.