Mülheim. .
Für Mülheim ist das Sozialticket erneut in die Ferne gerückt: Vor November ist damit nicht zu rechnen, und wenn es kommt, wird es weniger Leistung bieten als ursprünglich gefordert.
Eine unerwartete Wendung, denn erst Anfang Juli signalisierte SPD-Fraktionsvorsitzender Dieter Wiechering, die Partei werde das Sozialticket im September mit finanzieller Hilfe des Landes für 29,90 € als Vollzeitticket einführen (WAZ berichtete).
Nachdem aber die Verkehrsunternehmen in der für diesen Beschluss zuständigen VRR-Verbandsversammlung ein Veto einlegten – in ihren Augen werde das Ticket für Defizite in Millionenhöhe sorgen – rudert auch die SPD zurück: „Die Kommune würde vermutlich mit rund 300 000 € belastet“, räumt Wiechering nun ein. Die Leistung sei für den Preis zu groß, man müsse sie reduzieren. Ursprünglich sollte das Ticket von Beziehern von Hartz IV (Aufstocker eingeschlossen) sowie Geringverdienern genutzt werden können. Als Basis diente das Ticket 1000, Preisstufe A. Dieses beinhaltet, dass montags bis freitags ab 19 Uhr, an Wochenenden/Feiertagen bis zu 5 Personen mitfahren können. Bei dem Sozialticket soll auch das Rad ohne Zusatzticket mit.
Pilotprojekt beantragen
Finanzieren sollte dies das Land mit 30 Mio Euro bis Ende 2012. Weitere 15 Mio wollte man aus dem Topf des VRR zuschießen. Das sei zu wenig, argumentierten die Verkehrsbetriebe und vertagten per Veto die Verhandlungen in dieser Woche. Eine Vermittlungskommission aus Politik und Betrieben muss nun zwischen den Parteien schlichten.
Laut eines Gutachtens entstünden den Verkehrsbetrieben – trotz Landeszuschüssen – ein Defizit von 25 Mio €. Ihre Argumente: Durch das Sozialticket gingen Einnahmen bei Einzeltickets zurück. „Die Einführung hat auch Betriebskosten etwa durch Personalschulungen zur Folge“, sagt Olaf Frei, MVG-Sprecher. Das Risiko, auf diesen Kosten sitzen zu bleiben, wollen die Verkehrsbetriebe nicht tragen.
Belastbare Zahlen etwa über die Höhe solcher „Wechsler“ gibt es noch nicht, zweifeln die Mülheimer CDU und Grüne das Gutachten als zu hoch gerechnet an. Die Zuschüsse des Landes reichten vermutlich zur Deckung der Kosten aus, glauben sie, die Verkehrsunternehmen könnten sogar von Neukunden profitieren. Auch die Linke kritisiert, dass das Gutachten die Zuwächse, wie sie etwa in Köln seit Einführung des Sozialtickets zu verzeichnen seien, ignoriere. Zudem, so Heike Kretschmer, Geschäftsführerin der Linken, sei das Ticket zu teuer und deshalb unsozial, „wenn man bedenkt, dass Hartz-IV-Empfängern nur 22,92 Euro für die Mobilität zu Grunde gelegt werden.“
Schwarz-Grün will nun einen gemeinsamen Antrag in der Vermittlungskommission stellen. Demnach soll das Ticket als Pilotprojekt ab November 2011 und bis Ende 2012 gültig sein. Dann müsse evaluiert werden, welche Kosten realistisch sind. Kritik erntet die Haltung der SPD. Fraktionsgeschäftsführer Hansgeorg Schiemer (CDU) sieht darin eine Wendehalspolitik: „Erst waren sie gegen das Ticket, dann spielten sie die Vorreiter. Jetzt rudern sie zurück.“ Die Grünen werfen ihr sogar ein „Possenspiel“ vor.
Eine Prognose über die Kosten des Sozialtickets sei wie Kaffeesatzlesen, räumt auch der SPD-Vertreter im VRR-Parlament, Rolf Mühlenfeld ein. Kürzungen bei den Leistungen sieht er dennoch als notwendig an, so etwa bei der Mitnahme von Personen oder des Fahrrads. Nach dem Veto des ÖPNV sei jetzt das Ziel, eine Einigung zu erreichen.
Das Problem: Viele Ruhrgebietskommunen obliegen der Haushaltssicherungskontrolle und dürften mögliche Defizite durch das Sozialticket nicht übernehmen, so Mühlenfeld.